Die Rede ist von von meiner Mutter, 92 Jahre alt! Seit mehr als 6 Monaten wohnt sie jetzt ein einem Seniorenheim. Es war ihre sebstständige Entscheidung, diesen Schritt zu machen. Sie hatte selbst eingesehen, dass es zu Hause nicht mehr geht. Nach einem Krankenhausaufenthalt und einer anschließenden Rehamaßnahme ist sie direkt in das Heim eingezogen. Während dieser Zeit hat sie mehrmals gesagt, dass sie gern wieder in ihre Wohung möchte, aber das war, bevor sie die Erkenntnis gewann, dass es nicht geht.
Sie lebte in einer sehr schönen Altbauwohnung in ihrem Elternhaus, gebaut um die Jahrundertwende des vorigen Jahrunderts, also um 1900 herum, in der sie fast 50 Jahre wohnte. 2 Balkone hat die Wohung. Meine Mutter hat es immer sehr genossen, die Sonne für sich einzufangen. Manchmal, wenn es noch zu kalt war zum Draußensitzen, hat sie sich im Wohnzimmer vor die offene Balkontür gesetzt und die Sonnenstrahlen genossen. Jetzt hat sie ein kleines Zimmer, zum Glück zur Sonnenseite der Anlage. Im Sommer ist sie in ihrem Rollstuhl mit dem Lift zum Eingangsbereich hinuntergefahren und hat dort in der Sonne gesessen.
Einmal in der Woche fahre ich zu ihr nach Lübeck, 2 Mal 90 Minuten mit dem Wagen. Ca. 90 Minuten bin ich bei ihr. Viel zu erzählen gibt es ja meistens nicht. Wenn ich komme, sitzt sie in ihrem Rollstuhl am kleinen Tisch und liest die Lübecker Tageszeitung, ja, die lässt sie sich weiterhin im Abo kommen, oder sie löst Kreuzworträtsel – und sie strahlt eine große Zufriedenheit aus!
Als ich gestern bei meiner Mutter war, hatten wir ein Gesprächsthema, welches sich zufällig ergab: Leben im Heim. Am Mittwoch gab es ein Oktoberfest mit Kaffee und Kuchen, Musik zum Mitsingen und schunkeln, Abendessen mit wahlweise Frikadellen, Weißwurst oder Haxe, Bier oder Wein gab es auch. Mutter hatte das Glück, neben einer Dame zu sitzen, die, wie sie selbst, kommunikativ war. Auf der anderen Seite neben ihr eine Dame, die stets insich gekehrt ist, selten was sagt und oft weint. Mutter gelang es, sie ein wenig mitzureißen. Allerdings verließ sie die Veranstaltung vor dem Ende.
Beim Abendessen saß die Dame am Tisch und weinte wieder. Und was macht meine 92-jährige Mutter?: Sie nimmt sie in den Arm um sie ein wenig zu trösten! Unfassbar! Die Dame, die übrigens länger in dem Heim wohnt als meine Mutter, nuschelte ihr dann ins Ohr: Ja, es ist wohl doch besser so.
Wir vermuten, dass diese Dame sich noch nicht damit abgefunden hat, in ein Seniorenheim ziehen zu müssen. Die Hintergründe kennen wir nicht. Es ist ganz sicher nicht einfach, seine Wohnung aufzugeben, Möbel, Geschirr, Dinge, die einem im Lauf der Jahrzehnte lieb und teuer geworden sind, hintersichzulassen. Man kann es nicht verurteilen, wenn jemand so reagiert, wie die Dame es tut.
Meine Mutter erzählte gestern, dass sie viel Glück gehabt hat im Leben. Als sie mit meinem Vater nach deren Hochzeit anfangs in einer 1-Zimmerwohnung gewohnt hat, Küche und Bad mussten sie sich mit einer Mitbewohnerin teilen, hat sie immer gesagt: Es kann nur besser werden! Sie hat ein schönes Leben gehabt, sie ist gereist, auch noch nachdem mein Vater vor 8 Jahren gestorben war. Sie ist rundherum zufrieden. Sie akzeptiert ihr Leben, so wie es jetzt ist. Wenn ich meine Besuche bei ihr beende und mich wieder auf den Weg in die kleine Stadt an der Elbe mache, brauch ich kein schlechtes Gewissen zu haben, ich muss mir keine Gedanken darum machen, dass Mutter jetzt in einem Seniorenheim lebt, leben muss.