Erinnerungen

Um mich meiner Vorfahren zu erinnern, muss ich nicht zum Friedhof pilgern, um auf deren Grab Blümchen abzulegen, die nach ein paar Tagen vertrocknet oder verfroren sind oder von den Karnickeln gefressen wurden oder um hässliche Gestecke abzulegen und Trauer zu heucheln. Erinnerungen an meine Altvorderen habe ich im Kopf, Erinnerungen aus deren Leben, die hin und wieder durch kleine Anstöße irgendwelcher Art zum Leben erweckt werden, so geschehen heute,

als ich von Danny und seine Erfahrungen mit der Königinpastete gelesen habe. Königinpastete, das Wort muss man sich mal auf der Zunge vergehen lassen, ich fange an zu sabbern, wenn ich das lese oder höre. Königinpastete war en vogue bei meiner Großmutter mütterlicherseits in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts! Das war was edles! Jedenfalls hatte ich als kleiner Stepke den Eindruck.

Omas Geburtstag stand bevor. Sie verkündete, dass es Königinpastete geben würde, mit Ragout Fin. Mir lief schon bei der Ankündigung das Wasser im Mund zusammen. Die Pasteten mussten beim Bäcker bestellt werden und wurden am Tag des Verzehrs ganz vorsichtig auf Papptabletts nach Hause getragen, die waren ja soooo empfindlich. Das Ragout Fin bereitete Oma selbst zu. Am Tisch wurde Worcestesauce dazu gereicht um das fade Ragout mit ein paar Spritzern davon etwas aufzupeppen. Bei mir waren es meistens ein paar Spritzer mehr.

Von einer Pastete wurde mann ja nicht satt. Deshalb gab es für die Herren 2 Portionen. Aber die älteren Damen, Omas Freundinnen, zierten sich nach dem Verzehr einer Pastete. Nein, das würde absolut reichen, allenfalls noch etwas von dem Ragout wurde verlangt. „Reich mir bitte noch mal die Flasche mit der Worcestersauce“.

Heute, in etwa dem gleichen Alter wie meine Oma seinerzeit (sie war Toilettenjahrgang), würde ich mit einer Pastete auch nicht zurechtkommen. Zwei müssten es schon sein, und zum Dessert bitte noch eine Käseauswahl.

Damals, vor etwa 55 Jahren (oh mein Gott wie bin ich alt!), war Pastete fast der Inbegriff der Dekadenz für mich. Der Grund dafür war vielleicht die Art, wie Oma die Ankündigung machte, dass Königinpastete an ihrem Geburtstag serviert werden würde, oder vielleicht die Tatsache, dass man die hohlen Blätterteigdinger mit Deckel nicht einfach so aus dem Supermarkt holen konnte. Oder wie sich das anhört: Ragout Fin! Bei Oma war das ein simples Hühnerfrikassee, aufgepeppt mit Worcestersauce.

Seht ihr, das sind die Erinnerungen! Dafür bedarf es keiner Gedenktage im November und keiner Friedhofsbesuche. Meine Altvorderen, soweit ich mich persönlich an sie erinnern kann, habe ich im Kopf und im Herzen.

Und jetzt würde ich gern mal wieder eine Königinpastete essen, mit Ragout Fin und viel Worcestersauce und in Gedenken an Oma und ihre Freundinnen.

4 Gedanken zu „Erinnerungen

  1. Elke

    Das mit dem Ragout fin kenne ich auch noch aus meiner Kindheit. Wir waren häufig mit dem Auto Richtung Großeltern von Köln nach Osnabrück unterwegs. Mir wurde immer übel während der Autofahrt. Und, wenn wir dann Rast machten – meistens in Bottrop im Forsthaus Specht – wählte meine Mutti für mich immer Ragout fin, weil sie der Meinung war, dass mein Magen das wohl toleriert. Sie hatte Recht. Als ich dann etwas älter war, konnte ich das Autofahren besser vertragen und durfte das Ragout fin gegen einen irre leckeren Blaubeerpfannkuchen austauschen. Wenn wir heutzutage dort vorbei fahren (das Forsthaus gibt es noch😃) , muss sich der arme Göga immer wieder die Story vom Blaubeerpfannkuchen anhören. Aber zurück Ragout fin… das kann richtig lecker sein. Auch mit wenig Worcestersauce 😉. LG Elke

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  2. Anne

    Das Elsass ist ein bisschen weit für euch, gell? https://www.instagram.com/p/Ba8cujUDw9D/ 😉
    http://www.boeuf-soufflenheim.com/notre-carte.html
    „La traditionelle bouchée à la reine. Une recette de Mémé. Comme autrefois!“ (Ein Rezept von Oma. Wie früher!)
    Meine Oma-Erinnerung ist und bleibt Reibekuchen/Kartoffelpuffer. Natürlich ohne Rezept, aber gelehrt hat sie mich, dass eine Möhre mitgerieben wird für die Farbe und eine Zwiebel für den Geschmack. Außerdem Haferflocken für Bindung und Knusprigkeit, ausgebacken in reichlich Öl. Dazu westfälisches Rübenkraut und selbstgekochtes Apfelkompott vom eigenen Baum, hinterher eine Tasse Kaffee und gemeinsamer Abwasch mit ihren Erzählungen aus der Zeit als Dienstmädchen bei „Frau Sanitätsrat“. Sterneküche kann da nicht mithalten…

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    1. Hans-Georg

      Moin Anne! Das Foto hatte ich mal kommentiert *lach*
      Nein, das Elsass ist derzeit kein Ziel für uns. Unser Hauptaugenmerk liegt auf der Kreuzfahrt für den Jahresurlaub. Und da mein Mann eine sehr begrenzte Anzahl von Urlaubstagen hat, weil die Samstage mitgezählt werden, genießen wir die restlichen Tage für die Zweisamkeit zu Hause.

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