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CSD in Lübeck


44 Jahre meines Lebens habe ich in Lübeck gewohnt. In dieser Stadt bin ich aufgewachsen und zur Schule gegangen. Hier habe ich meine Berufsausbildung gemacht, ein Haus gekauft. In Lübeck wurde mein Liebstes geboren: Hier kam Oliver auf die Welt. In Lübeck begann die Veränderung meines Lebens, ein neuer Lebensabschnitt begann.

Lübeck hatte heute den ersten CSD. Ich wollte gerne mal sehen, was hier auf die Beine gestellt wird. Kenne ich vielleicht sogar einen der Teilnehmer?

Auf unserem Weg zum Startplatz trafen wir Melli – Olivers Freundin – mit ihrer Mutter. Die ist ja nett! Es war das erste Mal, dass wir ein Familienmitglied von Melli kennen lernten.

Kurz vor dem Beginn der Parade waren wir am Startplatz. 14 Gruppen waren angekündigt. Aber es sah alles etwas dürftig aus. 3 grosse Trucks waren zu sehen und 2 rein kommerzielle Fahrzeuge, die nur Werbung machten. Ein Wagen mit Anhänger war dabei, leider war nicht zu erkennen, welche Gruppe damit demonstrieren wollte. Vertreten war auch die PDS. Dazu kamen noch ein paar Fussgruppen. Also alles „sehr übersichtlich“. Etwas originelles war leider nicht dabei.

Erstaunt waren wir allerdings über die Anzahl derer, die sich dem Zug anschlossen. Das war doch schon beeindruckend. Und wir waren nicht die einzigen Hamburger, auch das war überraschend.

Die Parade zog ihren Weg durch die Lübecker City, die zur Mittagszeit mit Touristen und Einheimischen gut besucht war. Ich habe jedoch meine Zweifel, ob die Mehrheit der Zuschauer überhaupt wusste, um was es hier ging. Man musste nämlich schon sehr genau hinsehen um festzustellen, dass hier Schwule und Lesben eine Demonstration veranstalteten. Etwas mehr Mut wäre von Vorteil gewesen. Vermutlich kennen die Wenigsten die Bedeutung der Regenbogenflagge, die allerdings reichlich vorhanden war.

Das Strassenfest erwies sich als eine Art Dorffest. Die angekündigte Schlemmermeile bestand aus einem Wurstgrill, einem Stand mit Pommes und Champignon-Pfanne und einem Kuchenbuffet. Die 4 Getränkestände rechne ich nicht der Schlemmermeile zu. Ein Mädchen am Bierstand war mit dem Zapfen sichtlich überfordert. Wie sollte das erst werden, wenn die Teilnehmer der Parade eintreffen. Eine Hüpfburg gab es auch. Hat die was mit dem Klischee von albernen Tunten zu tun?

Bernd und ich standen etwas verloren herum, Arm in Arm, gelegentlich tauschten wir kleine Zärtlichkeiten aus. Plötzlich bedankte sich eine ältere Dame für ein Foto, das sie von uns gemacht hatte. Einen Moment unterhielten wir uns, d.h. eigentlich war es so, dass sie uns unterhielt. Sie erzählte uns, wo sie wohnt und dass da auch solche wohnen wir „Ihr“. Und das ist doch gar nicht schlimm und es ist so schön, dass alles offener geworden ist. Und ihr Arzt hat ihr erzählt, es liegt an den Genen und jeder hat diese Gene usw. usw. Puh, tief Luft holen als sie weg war, aber es war ja nett gemeint.

Endlich strömten die Leute zusammen, die Parade war beendet. Wir beobachteten noch eine Weile das Treiben, grüssten einige Bekannte, die wir aus Hamburg kannten. Mit dem kleinen Harald unterhielten wir uns kurz, belanglos: Ach, Ihr auch hier?! Von meiner Zeit aus Lübeck kannte ich niemand. Der Aha-Effekt blieb aus – von wegen: Ach der auch, hätte ich nicht gedacht.

Uns hielt hier nichts mehr. Wir machten uns auf den Weg zurück nach Hamburg und waren froh, wieder in unserer kleinen Bärenhöhle zu sein.

Chorwochenende

Freitag, 21.6.2002 – Sonntag, 23.6.2002

Die Chorwochenenden finden 2 Mal im Jahr statt. Sie dienen der musikalischen Weiterbildung und der Festigung der Gemeinschaft.

Dieses Chorwochenende stand unter dem Zeichen intensiver Proben für unsere Premiere in 2 Wochen.

Freitag

Anreise nach Lütjenweststedt, ein Dorf nördlich von Hamburg zwischen Rendsburg und Itzehoe, war am Freitag Nachmittag. Untergebracht waren wir im Seminarhaus Engelland, ein ehemaliges Dorfgasthaus. Dazu gehört ein grosser Saal, der in früheren Zeiten den Tanzveranstaltungen diente, und ein uriger Garten. Die Verpflegung wird immer eigener Regie arrangiert, d.h. sämtliche Lebensmittel und Getränke müssen mitgebracht werden. Und wir müssen selbst kochen, Tisch decken, usw. Bernd und ich schliefen in einem 2-Bett-Zimmer, dem einzigen mit eigener Dusche und WC. Leider hatten wir einzelstehende Betten.

Unsere erste Probe war am Freitag Abend um 20.00 Uhr. Matthias, unser Chorleiter arbeitete noch ein paar Feinheiten heraus. Ausserdem wurde an einigen Choreographien gefeilt. 2-1/2 Stunden dauerte die Probe.

Anschliessend wurden dicke Kissen in die Saalmitte gelegt und Getränke bereitgestellt. Ein paar von uns legten sich auf die Kissen und unterhielten sich. Andere gingen schon schlafen. Der Abend endete also sehr gemütlich.

Samstag

Samstag Morgen gab es ein reichhaltiges Frühstück. Leider störten die vielen Fliegen. Frech liessen sie sich auf der Wurst und auf dem Käse nieder. Bernd und ich hielten uns dann doch lieber an Marmelade, die in geschlossenen Gläsern auf dem Tisch stand.

Für Heute waren 3 Proben angesetzt, eine Vormittags und 2 Nachmittags. In den ersten beiden Proben ging es wieder darum, ein paar Verbesserungen herauszuarbeiten und Choreograpie zu üben. Ich hörte mir alles an und machte mir dabei Gedanken über die Lichteffekte für unsere Aufführung.

In der 3. Probe wurde das neue Stück das erste Mal durchgehend im Kostüm geprobt. Dabei war ich mein Einsatz gefragt: Einige Übergänge zwischen den Stücken werden von CD eingespielt und ich muss dafür sorgen, dass sie zum richtigen Zeitpunkt abgespielt werden. Die Probe verlief zufriedenstellend, zeigte aber doch noch ein paar Schwachpunkte auf, die bis zur Premiere noch behoben werden müssen. Leider war mein Platz hinter dem Chor. Zu gerne hätte ich diese erste „Aufführung“ als Zuschauer beobachtet. Ich glaube, das neue Stück wird Erfolg haben.

Um 20.00 Uhr begann der „Festabend“ mit einen Menü, zubereitet von Armin: Gazpacho, Zürcher Geschnetzeltes und zum Nachtisch Mousse au Chocolat. Hajo hatte sich für diesen Abend besonders herausgeputzt: Mit Perücke, Minirock, Pumps, Strumpfhose und einem Body, der unter seiner Brust zu Ende war, machte er auf billige Nutte.

Kurz vorher kam Sebastian, unser Pianist, aus Hamburg mit einer positiven Neuigkeit zurück: Er wird 2. Musikalischer Leiter für das Abba-Musical „Mamma Mia“, das zum Ende des Jahres im Hamburger Operettenhaus Premiere haben wird.

Lieber Sebastian, herzlichen Glückwunsch!

Nach dem Essen begann der gemütliche Teil. Es bildeten sich kleinere Gruppen, die sich unterhielten. Aref kündigte für 22.00 Uhr eine Darbietung an.

Alle fanden sich rechtzeitig wieder ein und setzten sich auf die bereitgestellten Stühle. Aref erklärte uns, worum es ging: Improvisationstheater „Half Time“ mit 4 Personen, mit dabei Aref, Hajo, Harald und Holger. Jemand aus dem Publikum sollte einen Ort und ein Jahr für die Handlung bestimmen. Die Stichworte waren Puff und 1930. Die 4 Beteiligten beratschlagten sich kurz und begannen kurz darauf mit ihrer Vorführung. Worum es dabei ging überlass ich der Phantasie des Lesers. Der Sketch dauerte wenig mehr als eine Minute, wurde dann in der Hälfte der Zeit wiederholt und noch 2 Mal um jeweils die Hälfte reduziert. Der letzte Auftritt dauerte nur wenige Sekunden. Die 4 Darsteller stürzten zusammen auf die Spielfläche, einen Dialog gab es nicht mehr, es gab nur noch die auf ein Minimum reduzierte Handlung. Die Zuschauer konnten sich vor Lachen kaum auf den Sitzen halten. Hajo, immer noch in seinem Kostüm (deshalb wohl auch das Stichwort Puff), passte hervorragend in diese Improvisation.

Jemand fragte: Wo war denn der Dialog? Hajos schlagfertige Antwort: „Wir haben den Originaldialog genommen und weggelassen.“

Als sich alle wieder beruhigt hatten, wurden wieder die Kuschelkissen auf den Boden gelegt. Bernd und ich fanden uns dort mit einer kleinen Gruppe zusammen, kuschelten, erzählten dies und das und irgendwann auch Witze. Dazu tranken wir Wein.

Wir hörten, dass in der Küche ein Gruppe stand, die über politische Themen diskutierten, andere standen oder sassen an verschiedenen anderen Orten und unterhielten sich. Gegen 02.00 Uhr morgens gingen Bernd und ich schlafen.

Sonntag

Nach dem Frühstück, wieder mit vielen Fliegen als „Mitesser“, trafen sie die Sänger im Garten zu Entspannungsübungen und zum Einsingen für die angesetzte 3. Probe. Die Änderungen wurden vorher erklärt, damit sie in der Probe entsprechend berücksichtig werden konnten. Alles lief, dem Probenstand entsprechend, zufriedenstellend.

Danach begann das grosse Aufräumen. Ca. um 14.00 Uhr fuhren wir nach Hause und waren froh wieder unter uns zu sein und nur uns beide zu haben.

Abends schliefen wir glücklich zusammen in unserem grossen Bett.

Strassenfest

Die Serie der Strassenfeste in Hamburg wird traditionell eröffnet mit dem Strassenfest in der Langen Reihe im Stadtteil St. Georg. Die Strasse „Lange Reihe“ wird gerne als „Schwule Meile“ Hamburgs bezeichnet. Es gibt dort ein paar Cafes, Bars und Geschäfte, die viel von Schwulen besucht werden. Sie sind aber nicht alle „rein schwul“. Viele Schwule wohnen hier und in den umliegenden Strassen – wie unschwer an den Regenbogenflaggen an Balkonen und Fenstern zu erkennen ist.

Das Strassenfest ist kein schwules Strassenfest. Aber es hat eine schwule Ecke: Am einen Ende der Strasse sind die Getränkestände einiger schwuler Wirte. Dort ist es immer am vollsten und dort trifft man die meisten Freunde.

Bernd und ich stellten uns an den Stand vom Willi’s. Es dauerte nicht lange und die ersten Chormitglieder kamen vorbei. Mit Peter haben wir uns ziemlich lange unterhalten. Später kamen noch Freunde von uns, SMIGS und sein Freund Klaus, Tobi und Volker aus Oberhausen und noch ein paar mehr. Wir tranken ein paar Bier zusammen und haben uns nett unterhalten.

Zusammen mit Tobi und Volker wollten wir anschliessend noch ins „Black“. Die schwule Lederdisco liegt in unmittelbarer Nähe der Langen Reihe. Es war vorauszusehen, dass es in dieser Nacht ziemlich voll sein würde. Wir zahlten jeder 5 Euro Eintritt und dann konnten wir unsere Jacken nicht loswerden, weil die Garderobe voll war. Zum „Black“ gehört noch das „Zips“ – wir wurden mit unseren Jacken dorthin geschickt. An der Garderobe stand eine lange Schlange. Die Schwester, die die Jacken annahm war offensichtlich damit überfordert. Vor uns standen etwa 5 Leute und 10 Minuten passierte gar nichts.

Bernd schaute mich an. Ich fragte: „Was denkst Du?“ – „Das gleiche wie Du: Links rum und raus.“ – Wir standen genau neben dem Ein- bzw. Ausgang. In der Tat war das auch meine Idee gewesen. Wir verabschiedeten uns kurz von unseren Freunden und schon waren wir auf dem Weg durch die Nacht nach Hause.