Wenn ich unsere Wohnungstür öffne, weil ich die Wohnung verlassen möchte, komme ich kaum hinaus. Eng ist es da geworden, ich muss mich da richtig durchquetschen. Weihnachten steht nämlich vor der Tür. Und jeden Tag wird es da enger. Wenn Weihnachten vor der Tür steht, ist es Zeit für die Kinder ihre Weihnachtsgedichte zu lernen.
Wobei ich mich frage, ob heute überhaupt noch Weihnachtsgedichte vor dem Weihnachtsbaum aufgesagt werden. Früher, als ich noch klein war, war das ein absolutes Muss. Mit entsprechenden Drohungen: Sonst bringt der Weihnachtsmann keine Geschenke, nur eine Rute. Ja, harte Zeiten waren das damals. Ich habe es gehasst, ein Weihnachtsgedicht aufsagen zu müssen. Wenn ich steckenblieb, soufflierte Mutter, und dann rasselte ich den Rest runter.
Meiner Cousine ging es ähnlich. Später musste sie der Blockflöte schräge Töne entblasen. Danach hatte sie ein Gerät mit Tasten, in das aber auch geblasen wurde. Ich glaube Melodica hieß das Teil. Mit dem Blasen hatte ich das damals noch nicht so, das kamm erst später. Aber das gehört hier nicht her.
Weihnachtsgedichte gibt es ganz einfache für die ganz Kleinen (Lieber guter Weihnachtsmann…) und welche, die dann schon anspruchsvollers sind (Draus vom Walde …). Mein Opa gab immer einen plattdeutschen Vers zum Besten:
Wiehnachtsmann, kiek mi an,
’n lütt’n Ap’n bün ik man.
Keine Ahnung ob das noch weitergeht, Opa kannte wohl auch nur diese beiden Zeilen.
Mein liebstes Weihnachtsgedicht heute ist das von Loriot. Ich liebe dieses Gedicht, vermutlich deshalb, weil es so makaber ist. Ich lese es immer wieder gern, aber hängengeblieben sind bei mir nur 2 Zeilen:
Sorgsam legt sie Glied auf Glied
was der Gemahl bisher vermied.
Die erste Zeile ist Teil der Geschichte, die Loriot mit seinem Gedicht erzählt. Die zweite Zeile hat damit nichts zu tun. Die hat Loriot sich nur erdacht, damit das mit dem Reim passte, vermute ich mal so. Aber gerade die zweite Zeile regt doch zum Nachdenken darüber an, was die Aussage ist. Ich habe da ein Bild vor Augen obwohl der Gemahl das ja gar nie gemacht haben soll.
Aber ich weiche ab. Die Frage ist ja, ob heute noch vor dem Weihnachtsbaum Gedichte aufgesagt werden, ob da noch geblasen wird oder andere Musikinstrumente malträtiert werden. Mit dem Jahren weiser und reifer (?) geworden, würde ich heute meine Kinder oder Enkelkinder nicht dazu anhalten. Aus heutiger Sicht ist das Psychoterror.