Die Luft ist raus

Meine Mutter wird im Mai 92 Jahre alt, ist im Kopf fit wie nur irgendwas, denkt an alle möglichen Kleinigkeiten und vergisst nicht, was man ihr kürzlich erzählt hat. Seit ein paar Jahren lässt aber die Kraft in den Beinen sehr zu wünschen übrig. Nach 3 Klinikaufenthalten innerhalb von 3 Monaten von je ca. 2 -3 Wochen ist dieser Zustand natürlich nicht besser geworden.

Anfang dieser Woche wurde meine Mutter aus der Uniklinik in eine Rehaklinik übergeleitet. Im Entlassungsbrief der Uniklinik wird nach der Reha die stationäre Aufnahme in einer Pflegeeinrichtung empfohlen. Mutter weiß um ihren Zustand und macht sich selbst Gedanken um ihre Zukunft. Gedanken macht sich auch Karin, die langjährige Freundin unserer Familie und natürlich ich. Und diese Gedanken zehren.
In schlaflosen Nächten kreisen bei Karin und bei mir die Gedanken im Kopf. Wir machen uns damit vertraut, dass es sich womöglich nicht vermeiden lässt, dass Mutter wirklich in ein Heim muss, so leid uns das auch tun würde. Wir haben einen Funken Hoffnung, dass sich das Thema hinausschieben lässt. In der Reha tut man nämlich was dafür, dass ihre Beine gekräftigt werden.

Während der Klinikaufenthalte bin ich 3 x in der Woche nach Lübeck gefahren, jeweils ca. 1 Stunde hin und ca. 1 Stunde wieder nach Hause. Im Haushalt wurde nur das gemacht, was wirklich notwendig war. Gebacken habe ich schon wochenlang nicht mehr. Gekocht wird nur noch das, was nicht viel Arbeit macht. So ein Krankenzimmer ist natürlich ziemlich öde und ich habe versucht, meiner Mutter ein wenig Abwechslung zu geben.

Ich habe jetzt für mich entschieden, dass ich nur noch 2 x in der Woche nach Lübeck fahre und Mutter in der Reha besuche. Als ich gestern zurückkam, war ich fix und fertig, müde und abgespannt. Abends um 21 Uhr habe ich mich schlafen gelegt. Dank eines Medikamentes habe ich auch relativ gut geschlafen. Aber das ist nicht das, was ich will, Medikamente nehmen. Das geht so nicht!

Ein Freund hat mir kürzlich erzählt, dass seine Mutter an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt ist und sie das Ende dieses Jahres wohl nicht mehr erleben wird. Was ihm nahegeht ist nicht die Tatsache, dass seine Mutter sterben muss, das müssen wir alle mal. Sein Problem ist, dass seine Mutter leidet. Und genau das ist es, was mir auch zu schaffen macht: Das meine Mutter womöglich aus ihrem Elternhaus gerissen wird und in ein Heim muss, das Leid, welches sie im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte erleidet – weil sie ihr Zuhause liebt. Weil sie dann weiß: Das ist meine letzte Station.

15 Gedanken zu „Die Luft ist raus

  1. Elke

    Mensch,wie doof. Das tut mir unendlich Leid. Ich kann genau nachempfinden, was Ihr gerade durchmacht. Haben wir es schließlich mit unseren Eltern auch so erlebt. Ich kann nur Elke, dass Du ganz offen mit Deiner Mutter darüber sprichst. Nur, wenn sie hinter der Entscheidung steht, die dann irgendwann getroffen wird, ist das praktikabel. Und, wenn sie, wie Du sagst, geistig noch fit ist, sollte sie in genau wissen, was auf sie zukommt. Sonst ist das hinterher Stress. Ich wünsche Dir viel Glück und Feingefühl bei den anstehenden Entscheidungen und, dass Du auch auf Dich aufpasst. Das vergisst man in diesen Zeiten gerne mal. TOI TOI TOI! LG Elke

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      1. Hans-Georg

        Mittwoch hat sie diverse Untersuchungen über sich ergehen lassen müssen und hat dann nachmittags zu unserer Freundin gesagt, dass sie in diesem Zustand nicht allein in der Wohnung sein könnte. Sie beschäftigt sich mit dem Thema und hat auch gesagt, dass sie in Lübeck bleiben möchte wenn sie dann mal ins Heim müsste. Immerhin hat sie dort noch ein paar wenige Freunde und 2 Nichten, die sie mal besuchen kommen. Wenn ich sie hierher in die kleine Stadt an der Elbe hole, dann bin nur ich da.
        Und ja, ich versuche, mich nicht kaputt zu machen. Ich reduziere ja schon auf 2 x in der Woche. Und das muss sie verstehen, und wird sie auch.

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  2. Ingrid

    Das ist immer das Problem, wenn die Eltern so alt werden: man ist selber nicht mehr die/der Jüngste und diese Probleme schlauchen sehr.

    Genau das Gleiche hat meine Mutter auch gesagt, sie könne nicht mehr alleine zurecht kommen (wo ich gerade alles organisiert und beschafft usw. hatte). Dabei lebte sie schon in einer Altenwohnung, wo immer jemand nach ihr gucken konnte. Ins Heim umziehen, das bedeutet die Auflösung des (gewohnten) Lebens und das ist sehr traurig. Leider kann ich dir da nichts Positives schreiben.

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      1. Ingrid

        Ich habe ganz viel darüber geschrieben, offline und privat. Ich mag es immer noch nicht lesen … Wenn du Fragen hast oder ‚reden‘ möchtest, mail mich an. Deine feinfühlige Mail damals werde ich auch nie vergessen; die habe ich mir ausgedruckt.
        LG, Ingrid

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        1. Hans-Georg

          Hallo Ingrid!
          Ganz lieben Dank für dein nettes Angebot. Wenn ich einen Ratschlag benötige, werde ich gern darauf zurückkommen. Im Moment ist noch alles gut. Aber vielleicht bin ich noch für einen Ratschlag dankbar.

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      1. Jane Blond

        Das macht traurig. Ich habe meinen Mann fünf Jahre zuhause gepflegt, ehe ich irgendwann merkte, dass meine Grenze vollumfänglich überschritten war. Es auszusprechen, dass es nicht mehr geht, und einen Menschen in eine Einrichtung zu geben … man fühlt sich mies. Und ich glaube es ist egal, ob man einen bis dahin gesunden Menschen in ein Heim „stecken“ muss, oder einen der lange krank war. Der Beigeschmack ist schlichtweg einer, den man lange mit sich rumschleppt :-/

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        1. Hans-Georg

          Meine Mutter beschäftigt sich ja selbst mit dem Gedanken, dass sie über kurz oder lang in ein Heim muss. Ich denke, dass darin auch ihre Appetitlosigkeit begründet ist.

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