Lachen und weinen


Ich war mir schon bewusst, dass dieser Abend Emotionen freisetzen würde. Doch will ich von vorn beginnen:

Im Theater Neue Flora wurde heute die letzte Vorstellung von „Titanic – das Musical“ aufgeführt. Karten dafür hatten wir schon seit einigen Wochen. Seinerzeit wussten wir noch nicht, dass es Karten für die letzte Vorstellung sind, hiess es doch damals, dass die Derniere am 5. Oktober stattfinden würde. Umso gespannter warteten wir auf diesen Abend, seit uns bekannt war, dass wir an diesem Ereignis teilnehmen können.

Eine Überraschung war die Besetzungsliste, die per Monitor im Foyer angezeigt wird: Jens Janke, der vor 3 Wochen vor unseren Augen herzlich von seinen Kollegen verabschiedet worden war, würde noch ein Mal den Funker spielen. Robert Lenkey als Isidor Straus war leider nicht dabei, die Rolle sollte von Ulrich Thalle übernommen werden. Nun gut, damit musste ich mich abfinden. Ich wusste bereits, dass Marina Edelhagen, die so grandios die Rolle von Ida Straus gespielt hatte, auch schon ihre letzte Vorstellung hatte. Ihr Part würde heute Abend von Masha Karell gespielt werden, sie spielte sonst die reiche Witwe Cardoza. Es würde also spannend werden, wie diese Vorstellung mit einer teilweisen anderen Besetzung gefallen würde. Wir rechneten damit, dass anlässlich dieser allerletzten Aufführung ein paar Spässe seitens der Darsteller eingebaut werden würden.

Die Vorstellung begann ganz normal. Aber dann wurde plötzlich der Unterschied zu einer normalen Vorstellung sichtbar: Nach dem die Passagiere an Bord gegangen sind und das Schiff abgelegt hat, stehen Passagiere und Besatzungsmitglieder an der Reling und winken den Schaulustigen am Kai zu. In diesem Moment zückten Hunderte von Menschen im Publikum Taschentücher und winkten zurück. Da wir recht weit hinten sassen, war das für uns ein überwältigender Anblick. Patrick Stanke, der den Heizer spielt, konnte nicht mehr weitersingen und wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln. Er war sicher nicht der Einzige, dem das passierte.

In der nächsten Szene kommt der Reeder auf die Brücke und will mit dem Kapitän und dem Schiffsbauer anstossen. Robin Brosch als Reeder hat die vorherige Situation aufgenommen und seinen Text ein wenig abgeändert: „Nach dem wir so herzlich verabschiedet worden sind…… „. Für diese Geste erhielt er den ersten Szenenapplaus des Abends.

So richtig aus sich heraus kamen die Schauspieler beim „1. Klasse-Dinner“: Benjamin Guggenheim wusste nicht mehr, die wievielte Atlantiküberfahrt er gerade machte. Der Major hatte eins seiner Abenteuer, mit denen er immer nervte, vor vielen Jahren mit gottlosen Wilden in Hamburg statt in Indien. Die Astors kamen statt aus Paris von ihrer Reise nach Hamburg zurück. Jedes Mal gab es Beifall, Jubel und Gelächter im Publikum. Verstehen kann das sicher nur Jemand, der den Ablauf der normalen Vorstellung kennt. Später, bei der Szene im Rauchsalon, erzählte der Major von seinem Abenteuer mit 2000 gottlosen Orchestermusikern.

Bei dieser Vorstellung ist wohl fast alles an Darstellern auf der Bühne gewesen, die je in dem Stück mitgespielt haben. Alle wollten an diesem Abend dabei sein. Besonders zu sehen war dies bei den Massenszenen, wie z.B. das Leben und die Träume der 3. Klassepassagiere und das Wecken nach dem Zusammenstoss mit dem Eisberg.

Ein niedlicher Gag: Der Teddybär des Sohnes der Thayers hatte eine Schwimmweste an und dazu noch eine Taucherbrille auf.

Nach dem Zusammenstoss versammeln sich die Passagiere der 1. und 2. Klasse im grossen Salon. Ein Servierwagen wird hereingeschoben und Getränke werden angeboten. Das Schiff bekommt langsam Schlagseite und der Servierwagen rollt über die Bühne. Der Wagen wurde sonst von einem der Stewards angehalten. Heute rollte der Wagen weg auf die Seitenbühne und die Passagiere wussten nicht mehr, wo sie ihre Gläser abstellen sollen, als sie den Salon zur Rettungsaktion verlassen müssen. Alle liefen durcheinander und versuchten irgendwo die Gläser loszuwerden.

Nächste Szene: Die Passagiere der 1. und 2. Klasse laufen über die Bühne zu den Rettungsbooten, jeweils paarweise, jeder von ihnen hat ein paar Worte zu sagen. Heute hatte eine der Damen plötzlich 2 Ehemänner, einer war die Erstbesetzung der andere die Zweitbesetzung. John B. Thayer hatte seine Frau wie einen nassen Sack über der Schulter hängen und rannte mit ihr über die Bühne. Durch die vielen kleinen spassigen Einlagen war zum Traurigsein kaum Gelegenheit.

Dann kam der Untergang. Der Kapitän gibt über ein Megaphon bekannt: „Ich gebe dieses Schiff verloren, rette sich wer kann“. Heute war auch das ein wenig anders: „Ich gebe die Titanic endgültig verloren.“ Andrews, der Erbauer des Schiffes, der einsam im Rauchsalon die Pläne studiert und erkennt, warum das Schiff dem Untergang geweiht ist, singt „Jetzt wird die Titanic endgültig sinken… “ statt „von nun an wird das Schiff noch schneller sinken…“.

Von Zeit zu Zeit erinnerte ich mich, dass es nun das letzte Mal sei, dass ich diese oder jene Szene sehen würde. Ich hatte mich ganz gut im Griff – bis dann die wirklich letzte Szene des Musicals gespielt wurde: Die geretten Passagiere sehen ihre Ehemänner und die Besatzung als Vision am Kai stehen, das letzte Lied erklingt:

„Nun fahr mit Gott, mein Schiff, Titanic!
Weit hinaus aufs Meer!
Dass Dir See und Wind stets gewogen sind!
Gute Fahrt bis zur Wiederkehr!“

Da brach es aus mir heraus. Ich liess den Tränen freien Lauf. Selbst jetzt, wo ich diese Worte schreibe, bekomme ich feuchte Augen.

Als der letzte Ton verklungen war, stand das gesamte Publikum auf. Jubelnder Beifall erschallte, der kein Ende nehmen wollte, es war einfach unglaublich. Ein Herr der Theaterleitung erschien auf der Bühne und wollte ein paar Worte sagen. Er hatte Mühe, das Publikum zur Ruhe zu bekommen. Er hielt eine kleine Rede, vor allem an die Darsteller. Danach kam das Backstagepersonal und überreichte an Jeden einen Blumenstrauss. Auch auf der Bühne gab es feuchte Augen – und wie wir später erfuhren auch hinter der Bühne.

Es wurden noch 2 Lieder gesungen: „Nur bis zum Morgen sind wir nun getrennt…“, das Lied, mit dem sich die Passagiere an Deck verabschieden als die letzten in die Boote gehen und die anderen zurückbleiben müssen, und „Ragtime“, ein fetziges Tanzlied, dass uns den Abschied vielleicht nicht so tränenreich machen sollte. Zum Schluss sind wirklich alle auf der Bühne, die mit dem Stück zu tun hatten. Selbst alle Kinderdarsteller des Thayersohnes waren dabei. Einige der Sänger warfen ihre Blumensträusse, bevor sie die Bühne verliessen, ins Publikum. Dann war die Bühne leer, es war endgültig zu Ende. Ich hatte das Gefühl, an einer Beerdigung teilgenommen zu haben, an einer Beerdigung 1. Klasse.

Genau 10 Monate ist die Titanic in Hamburg über die Bühne gefahren.

– Abschiedsparty

In der Pause hatten wir Holger getroffen. Er erzählte uns, dass nach der Vorstellung im Vorfoyer eine kleine Party stattfinden würde. Auf unseren Einwand, dass wir keine Einladung hätten, meinte er, die würden schon Niemanden rauswerfen.

Nach der Vorstellung hielten wir uns im Vorfoyer auf. Die meisten Leute verliessen das Theater. Wir standen ganz „unauffällig“ ans Geländer gelehnt und warteten, was passieren würde. 2 Herren kamen auf uns zu und fragten, ob wir auf der Liste stehen. Tja, das mussten wir leider verneinen. „Ja, also, sie werden verstehen, wir müssen hier schliessen, aber, äh, wir haben sie ja hier schon tausend Mal gesehen. Na, wir wollen mal nicht so sein. Hier haben sie das Bändchen. Viel Spass noch.“ Schon hatten wir jeder ein rotes Bändchen, das uns jetzt erlaubte, an der Party teilnehmen zu dürfen.

Im Foyer gab es ein kleines warm/kaltes Buffet, an der Bar „Stage Club“ gab es die Getränke. Ein DJ sorgte für Musik. Darsteller, Mitarbeiter und deren Freunde feierten den Abschied von ihrer „Titanic“. Bernd traf einige seiner Exkollegen, die mich auch schon von der Premierenfeier kannten. Wir hörten, von ihnen, dass direkt nach der Vorstellung damit begonnen wurde die „Blackboxen“, in denen sich die Schauspieler während der Vorstellung umziehen, zu demontieren, d.h., dass in Kürze die gesamte Bühnendekoration abgebaut sein wird um Platz zu schaffen für „Tanz der Vampire“, das Nachfolgemusical, das genau 1 Jahr nach der Premiere von Titanic seine Premiere haben wird.

Der Abend bzw. die Nacht war nett und interessant. Einige der Mitwirkenden konnte sogar ich ohne ihre Maske erkennen. Michael Flöth, der den Kapitän spielte, gehörte allerdings nicht auf Anhieb dazu. Er hat sich direkt nach der Vorstellung seinen Bart abgenommen.

Gegen halb vier verliessen wir die Party und fuhren mit einem Taxi nach Hause.

(Die sichtbaren Eintragungsdaten der Kommentare entsprechend nicht der tatsächlichen Veröffentlichungszeit)

8 Gedanken zu „Lachen und weinen

  1. mo

    hey..
    vielen dank für den bericht..
    ich musst zwar wieder n bissl heulen, weil ich gestern auch dabei war, aber es war schön sich nochmal dran zu erinnern, was ich mit sicherheit noch öfter tun werde*gg*
    bai

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  2. Bernd0312

    ja, nun ist auch diese Vorstellung ein unwiderbringliches Stück Vergangenheit.
    Seufz, aber andererseits es war schön und es bleibt eine gute Erinnerung

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  3. Hans-Georg

    @Bernd0312: Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass eines Tages die Titanic als Musical wieder aufersteht. Standing ovations nach jeder Aufführung, die ich gesehen habe, sind doch ein Indiz dafür, dass das Stück ankommt.

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  4. Hans-Georg

    @Ingi: Wir haben allerdings auch negative Meinungen über das Stück gehört – aber das ist ja nicht ungewöhnlich, es ist eben alles eine Frage des persönlichen Geschmacks.

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  5. Anke

    hey, danke für den bericht. auch ich kann immer noch nicht fassen, dass die titanic untergegangen ist und habe es immer noch nicht über mich gebracht, mir das nachfolgestück anzusehen.
    ich war auch in der letzten woche und natürlich in der letzten show dabei und gehörte zu denjenigen, die vor beginn der vorstellung die taschentücher verteilt haben. hier nochmals einen herzlichen dank an alle, die mitgewunken haben!

    in uns lebt diese zeit weiter. und, um das stück zu zitieren “wir seh’n uns wieder irgendwann”…

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  6. Muggell

    hey … das was du geschrieben hast hat mich dazu gebracht das ich feute augen bekomme !!! das ist schon eine leistung !!! doch bin ich eigentlich nur durch einen zufall auf deine seite gekommen !!! ich war auf der suche nach dem lied was bei dem FILM TITANIC am ende wo die titanic untergeht von dem orkester gespielt wird !!! wo sich das orkester eigentlich trennen will aber einer da bleibt und weiter spielt … nach nen paar minuten kommen noch seine kolegen wieder … ja nach dem lied bzw. nach dem namen von dem lied habe ich eigentlich gesucht !!! aber dein ofizieles tagebuch hat mich schon sehr interesiehrt !!! vieleicht kannst du dich ja mal melden !!! vor allem wenn du weist wie das liet, was ich suche heist !!! das gilt nicht nur für den macher der seite sonder für jede person die das liest oder es einfachch weiss !!! ich hab auch icq : 335-091-341 und msn : muggell87@hotmail.com

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