Samstag, 22. Juli 2006 – Montag 24. Juli 2006
Seit über einem Jahr wohnt Oliver nun schon in Mönchengladbach und wir hatten es bislang noch nicht geschafft, ihn dort zu besuchen. Ich muss zugeben, dass ich als Vater schon ein schlechtes Gewissen hatte. Da hilft auch keine Ausrede der Art, dass wir keine Zeit hatten. Vielleicht war es eher Bequemlichkeit. Aber jetzt haben wir es endlich geschafft, wenn auch durch die psychologische Hilfe der Geburtstagsgeschenke für meine Eltern bzw. Olivers Grosseltern. Gemeinsam hatten wir ihnen eine Wochenendereise zu Oliver geschenkt, mit Rahmenprogramm. Das Rahmenprogramm blieb den Ahnen jeweils bis zur letzten Minute verborgen.

Meine Eltern reisten am Samstag Morgen aus Lübeck mit der Bahn an. Wir trafen uns im Hamburger Hauptbahnhof. Es war noch reichlich Zeit, uns mit einem kleinen Frühstück und Getränken für die 4-1/2-stündige Bahnfahrt zu versorgen. Einen Stapel Zeitschriften hatte ich schon am Vortag gekauft.

Bei der pünktlichen Ankunft des Zuges gab es das übliche Gewusel der einsteigenden, Wagen- und Platznummern suchenden Fahrgäste. Wir haben uns vorgenommen, bei der nächsten Fernreise mit der Bahn bereits am Dammtorbahnhof einzusteigen, wenn nicht gar schon in Altona.

Entgegen des Buchungswunsches, ein Viererabteil mit Tischchen im Grossraumwaggon zu bekommen, hatten wir vier Einzelplätze: jeweils einen Gangplatz neben- und hintereinander. Na ja, das ging noch, hätte schlimmer kommen können. Die Fahrt bis Wuppertal, wo wir umsteigen mussten, verlief dann auch recht angenehm. Es ist schon interessant, was für Leute so unterwegs sind mit ihren kleinen und grossen Macken und wie oft einige zur Toilette müssen.

In Wuppertal sollten wir zum Umsteigen 14 Minuten zur Verfügung haben, was selbst für meinen gehbehinderten Vater zu bewältigen ist. Aber verlass sich Einer auf die Bahn. Erst wurde unterwegs eine Verspätung von 10 Minuten angekündigt. Erfreulich waren die Durchsagen im Waggon, welche Anschlusszüge auf den Umsteigebahnhöfen zu erreichen waren. Irgendwo war Personalwechsel. Es gab zwar eine kurze Begrüssung der Zugbegleiterin, aber ansonsten herrschte plötzlich Funkstille. Es gab keine Informationen mehr über Anschlüsse und Verspätung, die bereits auf 15 Minuten angewachsen war, wie wir selbst feststellen konnten. Beim Aussteigen in Wuppertal fragte ich nach der Anschlussverbindung. Die muffelige Zugbegleiterin konnte mir nichts sagen. Wir waren auf uns selbst gestellt. Da dies der einzige Zug im Bahnhof war, hatte ich die Hoffnung, dass unser Regionalexpress nach Mönchengladbach, der vom selben Gleis abfahren sollte, noch nicht weg war. So standen wir denn da auf dem Bahnsteig und starrten auf die Anzeigetafel. Wir waren erleichtert, dass unser Zug doch noch angekündigt wurde. Für uns „junge Spunde“ ist eine Verzögerung sicher nicht das grosse Problem, doch für meine mitreisenden 82-jährigen Eltern kann so was dann doch beschwerlich werden.

Als wir im richtigen Zug sassen (wir fuhren mit 10 Minuten Verspätung ab) rief ich erst mal Oliver an. Er wollte uns in Mönchengladbach vom Bahnhof abholen und uns ins Hotel bringen. Der Zug war recht leer und hatte eine natürliche Klimaanlage: alle Fenster waren geöffnet, was recht angenehm war. Ohne dass wir es unterwegs bemerkten, wurde die Verspätung eingeholt und wir erreichten pünktlich unseren Zielbahnhof. Damit hatten weder wir noch Oliver gerechnet. Und so mussten wir jetzt ein paar Minuten auf Oliver warten.

Schnell checkten wir im Parkhotel Mercure der Accor-Gruppe ein und brachten unser Gepäck auf die Zimmer. Bernd stellte als erstes fest, dass es in unserem Zimmer keine Vorhänge gab. Ein Blick aus dem Fenster beruhigte uns, da draussen nur Bäume waren und es kein Gegenüber gab. Für den weiteren Verlauf des Tages nahmen wir Garderobe zum Umziehen mit zu Oliver.

Von Olivers Wohnung waren wir sehr angetan. Alles hell und freundlich. Ich muss meinem Sohn hier mal wieder einen guten Geschmack bescheinigen. Ist so was vererbbar? Olli und Melli hatten gebacken und es gab Kaffee aus seiner neuen Kaffeemaschine. Bald war es Zeit zum Umziehen für die erste Überraschung für meine Eltern.

Da wir jetzt 6 Personen waren, mussten wir mit zwei Wagen fahren. Meine Eltern fuhren bei Oliver mit, Bernd und ich stiegen zu Melli in den Wagen. Und auf ging es Richtung Düsseldorf, wo Oliver im Rheinturm einen Tisch für uns reserviert hatte.

Mit rasender Geschwindigkeit brachte uns der Lift auf 170 m Höhe. Eine Mitarbeiterin geleitete uns zu unserem Tisch wobei wir, aus welchen Gründen auch immer, fast das ganze Restaurant umrunden mussten.

Zur Einstimmung auf einen schönen Abend bestellten wir erst mal einen Prossecco. Während wir uns an der Erfrischung labten, suchten wir in der Karte nach unserem ganz persönlichen Menue. Ich hatte mich bereits online informiert und blieb dann auch bei meiner getroffenen Entscheidung: Consommé mit Steinpilzravioli – Roulade vom Roastbeef mit Oliven und Käse gefüllt auf mediterranem Kartoffelpuerree. Oliver und ich suchten spontan einen Wein aus der Karte aus, der uns allen ausgezeichnet gut schmeckte: Tieoplo Rotling aus dem Staatlichen Hofkeller Würzburg, von dem auch noch eine zweite Flasche notwendig war. Die Hauptgerichte wurden unter einer Silberglocke serviert, was immer ganz toll aussieht, aber doch oft eine Überraschung verbirgt. In der Tat war es eine Überraschung, nicht nur optisch sondern auch die Grösse der Portionen waren mehr als akzeptabel.

Nachdem die letzen Bissen genossen waren, liessen wir uns noch mal die Karte bringen, ein Nachtisch nach dem leckeren Mahl musste sein. Auch hier hatte ich bereits online eine Vorauswahl für mich getroffen. Aber die Entscheidung war nicht einfach. Ich schwankte zwischen Orangen-Lasagne auf Bitter-Orangen-Ragout und Parfait von weissem Portwein mit Balsam und pochierter Birne. Es siegte dann doch der Eisfan in mir und ich bestellte das Parfait.

Während des Essens umrundeten wir mit dem Restaurant mehrere Male den Turm und hatten dabei einen Blick auf Düsseldorf, die Umgebung und den unter uns dahinfliessenden Rhein.

Später, in der untergehenden Sonne, bot uns der Rhein ein besonderes Schauspiel.

Zurück im Hotel stellten wir fest, dass unser Zimmer jetzt mit Vorhängen ausgestattet war. Unklimatisiert, wie zu Hause, fielen wir in den Schlaf nach einem erfüllten Tag.

Sonntag, 23. Juli 2006

Wir hatten uns zu um 09.00 Uhr zum Hotelfrühstück verabredet. Als Bernd und ich runterkamen, hatten meine Eltern bereits einen Platz im Hotelgarten eingenommen. Leider kamen Olli und Melli nicht. Sie erschienen später. Auch für diesen Tag hatten wir eine Überraschung für meine Eltern. Bis dahin musste aber die Zeit überbrückt werden. Wir beratschlagten, was zu tun wäre. Nahe dem Hotel liegt der Bunte Garten. Viele alte Bäume spenden Schatten. Bänke laden zum Ausruhen ein – ein idealer Platz für uns Alle. Und so machten wir dort eine Runde.

Danach fuhren uns unsere beiden Chauffeure zum Schloss Rheydt. Dort gibt es ein rustikales italienisches Restaurant, wo wir eine Erfrischung bzw. einen kleinen Imbiss zu uns nehmen wollten. Da es aber gerade Brunchzeit war, war es mit dem Imbiss nichts, aber ein erfrischendes Getränk konnten wir bekommen. Wir entschieden uns aber, am Abend dort zu speisen. Oliver kennt das Restaurant von verschiedenen Anlässen und wir verliessen uns auf seine Empfehlung. Er reservierte uns einen Tisch, was sich als Glücksfall erwies, wie sich später herausstellen sollte.

Statt eines Imbiss im Restaurant gab es dann eine Waffel mit Vanilleeis und heissen Kirschen im Hotelgarten.

Und schon war es wieder Zeit, sich für das nächste Highligt umzuziehen. Es ging nach Essen. Dort wird seit dem September vorigen Jahres im Colosseum-Theater das Musical „Phantom der Oper“ gespielt. Bernd, Oliver und ich kennen das Musical aus der Zeit, wo es mit grossem Erfolg im Flora-Theater in Hamburg gespielt wurde. Das Theater wurde seinerzeit extra für dieses Musical erbaut. Mit Melli hatten wir dort mal eine Generalprobe mit neuen Darstellen gesehen. Wenige Monate später wurde das Stück abgesetzt.

Wir hatten uns etwas in der Zeit verschätzt und kamen so ziemlich in letzter Minute im Theater an. Ein wenig erschöpft sanken wir auf unsere Plätze. Bei mir stellte sich die Gänsehaut ein, als nach der zu Beginn stattfindenden Auktion der Kronleuchter unter den Klängen der bekannten Musik in die Höhe schwebt und damit die eigentliche Handlung beginnt.

Die Bühne in Essen ist nicht so gross wie in Hamburg, deshalb wirkten auf uns einige Passagen eher gedrungen. Aber die wunderbare Musik und die sängerische und darstellerische Leistung der Protagonisten machten vieles Wett. Ergreifend wie eh und je ist die Schlussszene, die wirklich vom schauspielerischen Können des Darstellers des Phantoms lebt.

Wie auch am Tag zuvor waren meine Eltern sehr angetan von dem, was wir für sie arrangiert hatten. Zum Dank spendierte mein Vater dann das Abendessen am Schloss Rheydt. Als wir dort ankamen, wurden gerade Plätze im Hof frei. So konnten wir diesen schönen Sommerabend im Freien geniessen und brauchten nicht auf den reservierten Plätzen im Restaurant unser Essen einnehmen. In der Gesellschaft eines Schloss-Pfaus konnten wir dort den Abend verbringen.

Am Hotel verabschiedeten wir uns von Olli und Melli, sie würden wir am nächsten Tag nicht wiedersehen. Olli würde arbeiten müssen und Melli würde sich mit ihrem Wagen auf die Heimfahrt nach Lübeck machen.

Im Hotelzimmer hatten wir inzwischen auch weisse Vorhänge bekommen. Aber Bernd und ich mochten noch nicht schlafen gehen. Wir machten noch einen Spaziergang durch den Bunten Garten bei Nacht und liessen den Tag noch ein mal Revue passieren. Manchmal geschehen halt Dinge, die einen belasten, die man aber nicht beeinflussen kann. Und das mussten wir erst mal verdauen – so gut es halt ging.

Montag, 24. Juli 2007

Meine Eltern sassen bereits wieder im Hotelgarten beim Frühstück als wir erschienen. Danach noch einen Augenblick sitzen und dann liessen wir uns mit einem Taxi zum Bahnhof bringen. Der Zug war pünktlich und pünktlich kamen wir auch in Wuppertal an. Doch da kam die grosse Überraschung: Der Zug, der uns nach Hamburg bringen sollte, hatte wegen eines Triebwerkschadens 45 Minuten Verspätung. Er lief dann auch pünktlich 45 Minuten verspätet in den Bahnhof ein. Die Ansagen während der Fahrt für die Umsteiger waren sehr umfangreich. Wir liessen das alles ziemlich geduldig über uns ergehen. Es nützte ja nichts, wir mussten durch bis nach Hamburg. Dort stand auch ihre Bahn nach Lübeck bereit. Es war ein schneller Abschied nach einen im grossen und ganzen doch recht schönen Wochenende.

Später meldete sich mein Vater per Telefon und bedankte sich noch mal für das schöne Wochenende. Ich merkte, dass er versuchte, seine Tränen der Rührung zurückzuhalten.

Wir haben an diesem Wochenende viel Geld ausgegeben. Aber meine Eltern und Olivers Grosseltern haben es verdient, sie haben so viel Gutes für uns getan. Und es tut mir nicht leid, dass wir das gemacht haben. Noch sind sie in der Lage, so eine Reise zu machen. Wer weiss, wie lange noch.