So wie ich Anfang Juni entsetzt darüber war (Das Beben), dass Sophie Hingst uns alle an der Nase herumgeführt hat, bin ich es jetzt darüber, dass sie vor ein paar Tagen gestorben ist. Sophie Hingst, besser bekannt als Fräulein Read On, hat uns in ihrem Blog Geschichten erzählt und diese uns als wahr verkauft – und wir sind alle darauf hereingefallen und haben ihr das abgekauft.
Bildhaft erzählte sie in ihrem Blog vom Pfarrer nebenan, von der Frau des Krämers, die ihre Tochter mit dem Tierarzt verkuppeln wollte, der aber dem Fräulein Read On zugeneigt war. Fräulein Read On erzählte von Kälbchen, dem alten Hund, der Katze und von der Freundin, die Wildtaube. Alle Geschichten waren so geschrieben, als wäre man dabeigewesen, man konnte sich jedes Detail vorstellen.
Ich hatte wohl ab und zu meine Zweifel, ob das denn alles so stimmen würde. Aber die wischte ich immer schnell beseite, wohl weil ich gefangen war vom Schreibstil, von den Geschichten, auch von denen über die jüdische Großmutter, von der Malitant in Wien, von den Ausflügen auf der Suche nach Häusern, in denen einst Künstler gelebt haben. Als die Sache Anfang Juni aufflog, war ich nicht wütend darüber, dass alles nicht so war, wie es im Blog geschrieben stand. Ich war eher traurig.
Man sagt: Genie und Wahnsinn liegen oft dicht zusammen. Sophie Hingst war ein Genie, in zweierlei Hinsicht. Sie konnte, ich erwähnte es bereits, phantastisch schreiben und sich tolle Geschichten ausdenken. Und der Wahn? War der Wahn, dass sie uns alles als wahr verkaufte, selbst in Interviews? War der Wahn, dass sie in einer Scheinwelt gelebt und selbst geglaubt hat, worüber sie geschrieben hat? War der Wahn, dass sie auf der Suche nach etwas gewesen ist.
Sophie Hingst war vielleicht auf der Suche nach sich selbst. Ich hoffe, sie hat nun gefunden, wonach sie gesucht hat. Über die Todesursache ist nichts bekannt. Es ist anzunehmen, dass sie mit ihren 31 Jahren ihrem Leben selbst ein Ende gesetzt hat.
Ruhe in Frieden, Fräulein Read On, ich vermisse Sie.
Links zum Thema:
Bloggerin Hingst gestorben
The life and tragic death of Trinity graduate and writer Sophie Hingst
Ja, lieber Hans-Georg, traurig sind wir.
Ich bin sicher, dass es ausgestreckte Hände gab, doch leider – nicht immer kann geholfen werden. Ich vermisse des Fräuleins Geschichten, die ich auch dann gern gelesen hätte, wenn ich gewusst hätte, sie sind nur der Fantasie entsprungen. Denn sie hatten Wahrheitsgehalt, auch ohne realistischen Hintergrund.
Bei all meinem Entsetzen darüber, wie weit sie sich bis zuletzt verstrickt hatte in ihr Lügenkonstrukt, empfinde ich vor allem großes Mitleid. Wie schlecht muss es ihr gegangen sein seit der Aufdeckung, ihr selbst gewählter
Lebensinhalt ist total weggebrochen, die Einsamkeit muss entsetzlich gewesen sein.
Ich schließe mich an, möge das Fräulein in Frieden ruhen!
Hallo Hans Georg,
ja ich bin auch entsetzt was da passiert ist. Ich hab die Geschichten von unserem Fräulein auch sehr sehr gerne gelesen und wie jeder im Internet weiß enspricht nicht alles was irgendwo geschrieben wird auch der Wahrheit. Mir tut es sehr leid, dass sie im Vorfeld von allen so verteufelt wurde und nun plötzlich trauert jeder um sie, wo es nun zu spät ist …….
Ruhe in Frieden Sophie, deine Geschichten waren wundervoll !!!