Anfang November, ich war gerade aus dem Krankenhaus entlassen, wurde bei uns in unmittelbarer Nachbarschaft eine alte Dame umgebracht. Zweimal war die Kripo bei uns und hat gefragt, ob wir etwas ungewöhnliches bemerkt hätten. Der Balkon der Wohnung, in der die Dame umgebracht worden war, ist von unserer Terrasse direkt einsehbar und man kann auch ein wenig in die Wohnung schauen.
Nun ist es ja nicht so, dass ich stundenlang auf der Terrase stehe und spanner, schon gar nicht, wenn es sich um alte Damen handelt. Ich hatte aber auf unserer Terrasse zu tun. Im Herbst fallen ja so ein paar Arbeiten an. Dabei gewahrte ich, dass es auf dem Balkon zu besagter Wohnung auch zu herbstlichen Aktiväten kam. Ein Herr assistierte der Dame beim Hantieren mit Blumenkübeln.
Dies hatte ich der Kripo bei der Befragung mitgeteilt. Vermutlich war es der Tag, an dem die Frau hingemeuchelt wurde. Ein paar Tage später wurde ein Verdächtiger festgenommen, wie es heisst aus dem weiteren familiären Umfeld.
Für heute hatte ich nun ein Ladung, beim Landgericht Lübeck als Zeuge auszusagen. Ich konnte mich eigentlich nur noch daran erinnern, dass ich seinerzeit sagte, der Mann, der der Frau geholfen hat, hatte einen blauen Pullover an.
Der Richter fragte mich dann heute, ob ich das Aussehen des Mannes beschreiben kann und wie gross er gewesen ist. Nun, daran konnte ich mich nicht erinnern. Allerdings wurde mir meine Aussage vom November vorgehalten, in der ich doch mehr Einzelheiten genannt hatte, wie z.B. Haarfarbe, ungefähres Alter und Grösse. Ich erwiderte, dass ich das heute nicht mehr sagen könne. Die Angaben müssten aus der zeitlichen Nähe der Beobachtung herrühren.
Desweiteren wurde mir ein Foto der Dame vorgelegt, ob ich sie erkennen würde. Das Foto war von 2009. Nein, nach dem Foto konnte ich die Dame nicht erkennen. Ausserdem musste ich auf einem Foto das Haus identifizieren, in dem der Mord geschah und erklären, wo die Wohnung liegt. Gefragt wurde ich auch, wie lange wir denn Nachbarn gewesen seien. Ich weiss zwar, wann wir in unsere Wohnung gezogen sind, aber nicht, wann die Frau ihre Wohnung bezogen hat. In den Mietwohnungen nebenan ist die Fluktuation doch relativ gross.
Nach der Befragung wurde ich sozusagen entlassen und konnte gehen. Ich bin mal gespannt, ob ich irgendwann davon höre, ob der Verdächtige der Straftat überführt werden konnte und wenn ja, zu welcher Strafe er verdonnert worden ist.
Wir hatten vor vielen Jahren mit einigen Nachbarn nächtliche Nazigrölereien zur Anzeige gebracht. Monate später wurden mein Sohn und ich (unsere Fenster gehen zur besagten Straße raus) zur Zeugenaussage gebeten. Was genau gerufen wurde, wieviele Leute es gewesen sind, wie alt, und, und, und. Es war Nacht, es war dunkel! Und an den genauen Wortlaut konnte ich mich nach so langer Zeit auch nicht mehr erinnern. Vielleicht sollte man doch alles genau aufschreiben?
Als ich seinerzeit den Mann bemerkte, konnte ich ja nicht ahnen, was da später in der Wohnung passieren könnte. Selbst als die Kriop mich befragte, habe ich nicht damit gerechnet, dass ich das später mal im Zeugenstand wiederholen müsste.