Bei Helga auf’m Land


Helga ist eine Jugendfreundin von mir. Wir haben uns in der 2. Hälfte der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts kennengelernt. Meine Eltern hatten ihr 2. Schiff, einen selbstausgebauten Motorsegler, Helgas Eltern besassen ein Motorboot, eher eine kleine Motoryacht, auch selbstzusammengeklöppelt. Wir trafen uns in Travemünde im Passathafen, wir waren Bootsnachbarn. Unsere Eltern verstanden sich gut, Helga, etwas jünger als ich, und ich verstanden uns auch gut.

Wir kloppten stundenlang Canasta, paddelten mit meinem Schlauchboot „Charlotte“ durch den Yachthafen oder sassen auf dem „Lästerstein“ an der Priwallmole und guckten wie die anderen guckten. Handy oder sonstwelche elektronischen Geräte gab es noch nicht. Helgas Eltern kauften später eine secondhand Segelyacht, die „Hai. Der Name ist eine Zusammensetzung der Anfangsbuchstaben der Namen von Helga und ihren Eltern. Die Sommerwochenenden verbrachten wir in Travemünde und die Ferien natürlich auch. „Unser Schiff ist ein Loch im Wasser, in das wir unser ganzes Geld werfen.“ Eine kleine Messingplakette mit diesem Spruch war irgendwo auf unserer kleinen Yacht angeschraubt. Und genau so war es ja auch. Der Liegeplatz in Travemünde in der Sommersaison musste bezahlt werden, wie auch die Gebühren für die Wintereinlagerung auf dem Vereinsgelände in Lübeck. Die jährlichen Erneuerungs- und Überholungsarbeiten kosteten Geld, auch wenn das vom Vater selbst gemacht wurde, aber das Material, wie z.B. Lackfarben, mussten ja auch bezahlt werden. „Plastikreuzer“ gab es anfangs noch nicht.

Irgendwann verloren sich die Eltern und Helga und ich uns aus den Augen, wie das Leben halt so spielt. Im vorigen Jahr, 2 Jahre nach dem Tod meiner Mutter, erhielt ich einen lieben Brief von Helga. Sie hatte im Internet die Todesanzeige für meine Mutter entdeckt, die in den Lübecker Nachrichten erschienen war (die Anzeige, nicht meine Mutter). Im Brief hatte Helga ihre Telefonnummer angegeben. Und eines Tages rief ich sie an.

Es stellte sich heraus, dass Helga sozusagen in unserer Nachbarschaft lebt, im Haburger Ortsteil Altengamme, und zwar direkt an der Grenze Hamburg/Schleswig-Holstein, 6,5 km von unserer Wohnung entfernt. Das erste Mal seit Jahrzehnten trafen wir uns auf neutralem Boden zum Frühstück in einem Café in Geesthacht. Natürlich hatten wir viel zu erzählen. Auf unser 25-Jahr-Feier war Helga unser Gast.

Vor wenigen Wochen ludt Helga uns zum Frühstück bei sich ein, was wir heute wahrgenommen haben. Das Frühstück nahmen wir hinter dem Haus auf der Terrasse ein, mit blick in die Weite der Wiesenlandschaft der Vier- und Marschlande.

Zwei Wiesen weiter begann der Bauer mit Mäharbeiten. Kaum hatte er begonnen, vielen die Störche dort ein, im wahrsten Sinn des Wortes. Sie stolzierten auf der Wiese umher in der Hoffenung, dort Nahrung funden. Ich denke mal, es waren wohl 10 Störche, die dort umherstolzierten. Nach dem dem Ende der Mäharbeiten erhoben sich die stolzen Vögel wieder in die Lüfte und verschwanden. Es war ein wunderbares Erlebnis, dies alles beobachten zu können. Mit unserem fototechnischen Equipment war es nicht einfach, gute Fotos zu machen. Ein Storch erdreistete sich, sich auf der nächsten Wiese niederzulassen. Da war ein relativ gutes Foto möglich. Wenn man genau hinschaut, sind weiter hinten ein oder 2 Störche im hohen Gras zu sehen.

Auf der gegenüberliegenden Seite der Terrasse haben Schwalben ein Nest gebaut. Bernd gelang es, einen kleinen Einblick unter dem Dachüberstand zu erhaschen.

Natürlich haben wir nicht nur Störche und Schwalben beobachtet. Es gab auch viel über unsere Eltern und über die vergangenen Jahre zu erzählen. Helga hat jetzt eine Einladung zu einem Frühstück im Elbe-Penthouse bekommen. Auch dann wird es ganz bestimmt nicht langweilig werden. Man könnte ja auch mal eine Runde Canasta kloppen. Ich glaube mich zu erinnern, dass bei 3 Personen jeder 13 Karten bekommt.

8 Gedanken zu „Bei Helga auf’m Land

  1. Der Wilhelm

    Schön geschrieben – und gewisserweise auch ein Happy End.
    Oder besser: ein neuer Anfang einer alten Freundschaft. Meine Gratulation dazu.

    Und ein wenig bin ich auch neidisch, weil meine Brücken in die Vergangenheit inzwischen alle abgebrochen sind und kaum eine Chance besteht, einige Menschen von damals nochmal wieder zu treffen..
    Weil ich zu weit weg von allem bin und weil sich zu diesen Menschen im Netz auch keine Spuren finden…

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  2. Trude

    Schön das ihr euch wieder gefunden habt. Da zeigt sich das wahre Freundschaft nie endet. Auch wenn die Kommunikation lange Zeit geruht hat.
    🌈😘😎

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  3. Ralf

    „Auf dem Lande will ich leben, auf dem Lande ist`s so schön!“ singt Baronin Freimann ist Lortzings Oper „Der Wildschütz oder Die Stimme der Natur“.

    Ansonsten: Wenn ich mal nachdenke, komme ich auf eine ganze Menge einst guter Bekanntschaften, ja Freundschaften, die mit den Jahren eingeschlafen und nicht wieder aufgewacht sind. Man wohnt einfach zu weit auseinander, man denkt nicht mehr dran, einander anzurufen… und so weiß man nicht mal mehr voneinander, ob man überhaupt noch lebt und wenn ja wie es dem anderen geht. Einfach nur schade.

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