Besuch im blauen Papierkittel

Der Besuch bei meiner Mutter sollte eigentlich ein kleines Familientreffen sein: Oliver und Sabrina mit den beiden Minis Ida und Marit waren angereist. Zusammen mit meiner Mutter wollten wir oben in der Cafeteria bei Kaffee und Kuchen und einem traumhaften Blick über die Königin der Hanse mit dem Namen Lübeck ein wenig zusammensitzen. Der blöde Virus machte uns einen dicken Strich durch die Rechnung.

Wir hatten entschieden, dass nur Oliver und ich meiner Mutter die Aufwartung machen. Es wäre verantwortungslos, und es wäre auch gar nicht erlaubt worden, sie mit den beiden Mädchen zu besuchen. So zogen Vater und Sohn den Papierkittel und Gummihandschuhe an. Oma zu knuddeln war natürlich auch nicht möglich.

Oma saß wie ein Häuflein Unlück auf dem Bett. Der Toilettenstuhl steht daneben, der Rollator in Reichweite um sich dran festzuhalten. Gehen – geht nicht mehr. Zum Waschen wurde sie heute morgen mit einem Rollstuhl ins Bad geschoben. Der Toilettenstuhl ist jetzt ihre Toilette geworden, nicht wegen dem Durchfall sondern weil sie den Weg zur Toilette nicht mehr schafft wegen starker Schmerzen.

Zum Mittagessen hat sie ein paar Löffel Suppe gegessen, die Bettnachbarin meinte, es sei weniger als die Hälfte der angebotenen Portion gewesen. Um 14:00 Uhr wird der Nachmittagskaffee serviert. Mutter verlangte es nach Pfefferminztee. Dazu lag eine Banane auf dem Teller.

Das erste Mal hat Mutter davon geredet, dass es keinen Spaß mehr macht, so alt geworden zu sein. „Dann lieber weg und das war’s dann!“ So oder so ähnlich hat sie sich geäussert. Später dann noch: „Dann lieber so wie Vati, einfach umkippen!“ Gestern hat sie mir erzählt, dass sie es leid ist, die ganzen vielen Tabletten zu schlucken. Die Dosis am Mittag hätte sie verschwinden lassen. Ich habe überlegt, ob ich das im Stationszimmer erzählen soll. Ich habe es gelassen. Wenn sie nicht mehr will, ist es ihr Wunsch. Mir scheint, dass es der Anfang von der Selbstaufgabe ist.

20 Gedanken zu „Besuch im blauen Papierkittel

  1. Elke

    Wahrscheinlich hast Du Recht damit, aber man muss das einfach akzeptieren, so traurig es auch ist. Versuch, Dich in ihre Lage zu versetzen. Dann verstehst Du ihre Äußerungen sofort. Stark bleiben und Kopf hoch. Du machst das schon. LG Elke

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    1. Hans-Georg

      Elke, wir akzeptieren das alle. Wenn die Lebensqualität sinkt und man noch bei klarem Verstand ist, dann ist das wohl so, dass man irgendwann nicht mehr will. Man erkennt seine eigenen Unfähigkeiten und Unzulänglichkeiten und man sagt sich: Unter diesem Umständen habe ich keine Lust mehr am Leben.
      Nächste Woche Freitag ist der 8. Todestag meines Vaters. Meine Eltern waren 60 Jahre lang verheiratet. Ich glaube, meine Mutter wünscht sich sehnlich, bei ihm zu sein.

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  2. Turbohausfrau

    Es tut mir leid, dass es mit deiner Mutter so bergab geht.
    Ich hätte auch niemandem etwas gesagt wegen der Tabletten. Das möchte ich mir gar nicht vorstellen, wie es ist, dauernd Schmerzen zu haben, und es kann es nur zu gut verstehen, wenn sie sich so entschieden hat.
    Für die Leute, die ihr nahestehen wie du, ist das alles sicher sehr bitter.

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    1. Hans-Georg

      Lieben Dank für dein Mitgefühl.
      Es geht mir nicht nahe, dass es über kurz oder lang meine Mutter nicht mehr geben wird. Sie hat ein gesegnetes Alter erreicht. Was uns nahe geht ist die Tatsache, dass sie selbst unter den erschwerten Bedingungen leidet.

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  3. DORO

    Solche Worte habe ich so so so oft gehört, und ich bin ganz ehrlich, ich empfinde jetzt eine ganz grosse Dankbarkeit das sie es geschafft hat. Eure Ansichten sind so richtig, aber es ist auch sehr schwer zu gehen und es tut so verdammt weh das Leiden zu sehen und nicht helfen zu können. I h bin in Gedanken sehr oft bei euch.

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    1. Hans-Georg

      Auch dir lieben Dank für das Mitgefühl!
      Meine Mutter ist nicht organisch krank, bisher jedenfalls nicht. Sie leidet daran, dass ihre Lebensqualität stark eingeschränkt ist. Und das könnte bedeuten, dass es noch ein langer Weg bis zur Erlösung sein könnte.

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      1. DORO

        So war es bei uns ja auch, organisch alles soweit gut. Aber wenn du für alles, wirklich alles Hilfe brauchst, und sei es nur vom Sessel in den Rollstuhl oder jedesmal zur Toilette…. und ja, es kann ein sehr langer Weg werden 😢

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  4. Elvira

    Manchmal frage ich mich, ob Demenz nicht auch ein Segen sein kann. Menschen, die mit klarem Verstand dahinvegetieren müssen, bei jeder Kleinigkeit angewiesen auf die Hilfe fremder Menschen, sehnen sich ganz intensiv nach dem Tod. Unsere Praxis betreut ein Pflegewohnheim. Ich war nur einmal dort, um den Ablauf kennenzulernen. Dieses eine Mal hat mir gereicht. Ich bekomme täglich mit, wie katastrophal es dort zugeht. Fast nur Leasingkräfte, alle total überfordert. Wenn dann auch noch ein Wohnbereich wegen Norovirus unter Quarantäne gestellt werden muss, läuft kaum noch etwas.
    Ich wünsche euch viel Kraft!
    Liebe Grüße,
    Elvira

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    1. Hans-Georg

      Elvira, über deine Worte bezüglich Demenz habe ich auch schon öfter nachgedacht. Und dann gibt es wenigstens eine Pflegestufe. Ob meine Mutter die bekommt, ist noch fraglich. „Ihre Mutter kann sich ja noch waschen“ musste ich mir anhören lassen. Wenn sie keine Pflegestufe bekommt, wird sie nach Hause entlassen, was bedeutet, dass die Gefahr sehr groß ist, dass sie stürzt. Ich hoffe sehr, dass ich das morgen auf einen guten Weg bringen kann. Bitte drücke mir die Daumen!

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      1. Birgit P. aus E.

        Wenn sie deine Mutter wirklich nach Hause schicken…. dann würde ich sie dort vom SMD begutachten lassen, damit sie feststellen, daß sie alleine nicht zu Hause mehr zurechtkommt.
        Es gehört ja mehr dazu als sich noch alleine ein bißchen waschen zu können.
        Was ist mit Einkaufen, Essen zubereiten, Anziehen, Duschen, Haarewaschen, Medikamentenversorgung, Arztbesuche, Haushalt???

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        1. Hans-Georg

          Das Hauptaugenmerkt liegt auf „der Pflege an der Person“. Dafür werden durschnittlich pro Tag 45 Minuten veranschlagt, also Körperpflege, Anziehen usw, inkl. 2 – 3 x in der Woche Haarewaschen und Duschen.

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          1. Birgit P. aus E.

            Ich weiß, ich habe die ganze Prozedur ja wegen meiner ältesten Schwester durchgemacht. Da wurde aber durchaus berücksichtigt, daß sie die Dinge des täglichen Lebens nicht alleine schafft.
            Nach bewilligung der Pflegestufe I habe ich von der Pflegeversicherung eine Übersicht bekommen, wie ich den bewilligten Betrag lt. einer begefügten Übersicht verwenden kann. Das ist ein Punktesystem und man kann selber entscheiden, was man vom Pfkegedienst beanspruchen möchte und was man ggfs. selber macht.
            Pflegestufe ist ja auch wichtig, daß auch ein Teil der Kosten übernommen wird, wenn Deine Mutter in ein Seniorenheim zieht…..

          2. Doro

            Wenn Deine Mutter Pflegestufe 1 bekommt und in einen Pflegewohnbereich im Heim zieht, zahlt die Pflegekasse etwas über 1000.- Euro dazu. Die 45 Minuten sollten aber doch für das was sie braucht, zusammenkommen. Es kommt halt sehr darauf an, wer vom MDK kommt. Wir hatten wie meine Mutter im Heim war und gar nichts mehr konnte, Pflegestufe 2 beantragt, nix wars.

          3. Hans-Georg

            Das mag sich jetzt etwas blöd anhören, aber die finanzielle Sache ist eher nebensächlich, aber natürlich willkommen. Die Hauptsache ist, dass meine Mutter überhaupt eine Pflegestufe bekommt damit sie einen Heimplatz bekommen kann.

          4. Hans-Georg

            Es gibt einen kleinen Lichtblick:
            Hatte einen Anruf, dass man jetzt doch einen Eilantrag stellen will. Morgen höre ich dann mehr.
            Bitte bitte, drückt uns alle euch zur Verfügung stehenden Daumen!

    1. Hans-Georg

      Ich hatte dort, wo wir einen Platz reserviert haben, gefragt, ob meine Mutter das nicht privat bezahlen kann. Das wurde verneint mit dem Hinweis auf den Personalschlüssel. Inzwischen habe ich erfahren, dass kein Heim Leute ohne Pflegestufe aufnimmt. Ohne Pflegestufe kann man nur in private Residenzen.

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  5. Birgit P. aus E.

    Es gibt auch noch die „Pflegestufe Null eingeschränkte Alltagskompetenz“.
    Aber weiter kenne ich mich da jetzt auch nicht aus.

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  6. Jane Blond

    Die Oma meiner Kinder (Ex-Schwiemu) hat es letzten Mittwoch „geschafft“. Wollte einfach nicht mehr, war aber zwanzig Jahre jünger als deine Mutter.
    Alternativ (man hört sich das kacke an!) hätte hier auch Pflegeheim angestanden. Sie wollte keine Pflegestufe, nichts vom Heim wissen …
    Alles Gute euch und dir viel Kraft bei den Kämpfen mit dem MDK.

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    1. Hans-Georg

      Danke für deine guten Wünsche. Ich hoffe, heute Nachmittag kann ich mit positiveren Gedanken bezüglich der Pflegestufe nach Hause fahren. Ich werde jedenfalls berichten.

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