Die Ampel ist schuld?


In Thüringen und Sachsen wurden gestern neue Landtage gewählt. Das Gute zuerst: Die SPD bleibt drin. Adolf Höckler hat sein Direktmandat verpasst. Schlecht, äusserst schlecht, ist die Tatsache, dass die Nazis in beiden Bundesländern ein extrem hohes Ergebnis eingefahren haben, was leider zu erwarten war.

Ich habe heute morgen nicht alles gelesen, was über die Wahlen in den Onlinemedien zu lesen ist. Da kann ein normaler Mensch nicht ertragen, das deprimiert. Einige Kommentare sprechen davon, dass die Ampel schuld ist, dass die Leute mit der Arbeit der Bundesregierung nicht zufrieden ist, mit anderen Worten: Es war eine Protestwahl.

Aber das war es nicht, nie und nimmer. Man wählt keine Nazis, auch nicht aus Protest. Die meisten Wähler, die für das Ergebnis verantwortlich sind, wählten die Nazipartei aus Überzeugung. Nicht die Ampel ist schuld, der Wähler ist schuld daran, dass eine Regierungsbildung so gut wie unmöglich geworden ist.

Vor ein paar Tagen erschien bei ntv ein Interview des DDR-Historikers Ilko-Sascha Kowalczuk. Das, was ich herausgelesen habe, ist, dass die Bewohner der ehemaligen DDR nicht wissen, wie sie mit der Freiheit umgehen sollen, die sie Jahrzehnte nicht hatten. Sie wurden gegängelt, ihnen wurde gesagt, was sie tun dürfen und was nicht. Und plötzlich mussten sie selbst Entscheidungen treffen, etwas, das sie nie gelernt haben, der Staat entschied doch für sie.

Ist es also das Verlangen nach einer harten Hand, das Verlangen nach einem Führer, dass die Nazis so viele Stimmen bekommen haben? Die Wahlergebnisse werden in den nächsten Wochen, und bis zur im nächsten Jahr anstehenden Bundestagswahl, das grosse Thema in Deutschland bleiben. Es ist ein Thema, was uns nicht gleichgültig werden lassen sollte. Jeder Demokrat muss mit seinen zur Verfügung stehenden Mitteln versuchen, Stellung gegen die Nazis zu beziehen.

16 Gedanken zu „Die Ampel ist schuld?

  1. Birte

    Ich habe heute morgen im Radio gehört, das vor allem junge Leute die Nazis gewählt haben und zwar nicht aus Protest, sondern aus Überzeugung.
    Das Bedürfnis, dass der Staat sich um alles sorgt, scheint im Osten jedenfalls größer als im Westen. Das Demokratie davon lebt, dass alle sich beteiligen und nicht davon, dass der Staat alles regelt, ist wohl noch nicht allzu weit vorgedrungen.
    Ich kann das alles gerade kaum noch ertragen. Heute morgen keifte schon Frau Weidel im Morgenmagazin rum und ich fürchte, in 3 Wochen kommt passiert ein ähnliches Debakel in Brandenburg.
    Normalerweise hätte ich mich vor allem über die Ergebnisse der FDP gefreut (0,9 % in Sachsen), aber so wirklich freuen kann ich mich selbst darüber nicht.

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      1. Der Wilhelm

        Das glaube ich nicht, wenn ich mir die Wählerwanderungen angucke.
        Da sind reichlich Leute zur CDU, zu kackblau und zur BSW abgewandert, umgekehrt aber kaum etwas zurück gekommen. Wobei (die Wählerwanderung zur CDU mal relativiert) es trotzdem nicht gereicht hätte für die FDP in Thüringen..
        Insofern ist es gut, dass sie draussen ist und als Mehrheitsbeschaffer nun nicht auch noch mitreden will.

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        1. Hans-Georg

          Die FDP ist ja nun mal zur Sperrpartei verkommen, deshalb steht die Ampel im Bund ja auch so schlecht da. Sie, die FDP, versucht, nur ihre eigene Lobby zu hofieren. Habe gerade gelesen, dass sich eine Gruppe in der Partei für ein Verlassen der Ampel ausspricht bzw. dafür, dass Lindner seinen Hut nimmt und geht. Neuwahlen würden der FDP im Moment wohl eher nicht gut bekommen und allein die Nazis begünstigen.

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          1. Der Wilhelm

            Ja, das habe ich auch gelesen.
            Der Bruch der Ampel wird also vermutlich kommen, wenn die Brandenburg-Wahl gelaufen ist Denn das Lindner seinen Stuhl räumt, das sehe ich nicht

  2. Trulla

    Das sehe ich genauso wie von dir beschrieben. Gerade las ich ein Interview mit dem Schauspieler Uwe Ochsenknecht, in dem er sich in etwa so äußerte „angesichts der Weltentwicklung möchte man sterben, persönlich ginge es ihm aber gut“. So ist auch mein Befinden.

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  3. Trude

    Ehrlich gesagt bin ich schon froh, das die AFD nicht in beiden Bundesländern die absolute Mehrheit erreicht hat.
    Da war in Vorabumfragen auch schon mal der Fall …

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  4. Der Wilhelm

    Ich denke, wir werden vor der Bundestagswahl noch mehr derartige Dramen erleben. In Brandenburgt auf jeden Fall und in Hamburg wird kackblau wohl auch stärker werden.
    Und dazu kommt noch, dass Merz mit seiner systematischen Schwächung der anderen demokratischen Parteien und seiner Ablehnung insbesondere der Grünen inzwischen soviel verbrannte Erde geschaffen hat, dass rund um die CDU auch lauter Klüfte herrschen, die kaum überbrückbar sind.
    Wobei es in Thüringen ja momentan sogar ein Patt gibt, dass ohne Ramelows LInke kaum aufzulösen ist mit der Merz ja auch nicht will…..
    Und damit steht dann auf einmal auch der Söder auf der Mattte, der immer offener auf eine eigene Kanzlerkandidatur drängt. Was die Union nicht unbedingt stärkt, wenn es da nun auch noch interne Machtspiele gibt.

    Alles in Allem ein Grund zum Auswandern, wenn es denn etwas gäbe, wo man hin gehen könnte….

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  5. Ralf

    „Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich kotzen möchte“, sagte der Maler Max Liebermann nach der Ernennung des Braunauer Postkartenmalers zum Reichskanzler.

    Also, vier Dinge: Erstens scheint die äußerste Rechte ihr Potenzial ausgeschöpft zu haben. Deutlich mehr als 40% haven sie gewählt (AfD und BSW). Bedenkt man den zutreffenden Hinweis von Trulla, dass ihre Anhängerschaft unteer jungen Menschen besonders groß ist, bleibt die gefahr, dass durch natürliche Entwicklung in der Zukunft doch noch die 50% überschritten werden. Gut wenigstens, dass beide Parteien trotz beinahe inhaltsgleicher Aussagen als harte Konkurrenten nicht zusammenarbeiten wollen. Zweitens steckt die CDU jetzt tief in der Zwickmühle. Man sollte eben nicht Ewigkeitsbeschlüsse fassen, dass man mit allen möglichen Leuten nie nie nie koalieren will, und sich nach allen Seiten mit „Brandmauern“ umgeben. Die CDU hat sich in Thüringen in die irre Situation hineinmanövriert, dass sie eine Zusammenarbeit mit Bodo Ramelow, einem sozialdemokratischen Gewerkschafter, der nie in der SED war, verweigert, aber mit Sarah Wagenknecht, die anlässlich der Revolution in der DDR gerade erst recht und um sich von der Demokratisierung abzusetzen, in die SED eintrat, die bekennende Marxistin ist und Fan des Kriegsverbrechers und Mörders Putin, die eine Partei nach dem Führerprinzip führt, die Rechtslinksextremistin ist, die sich für nichts interessiert als für ihre eigene Geltungssucht – mit dieser Frau also gedenkt die CDU sich offenbar einzulassen. Drittens: Obwohl Michael Kretschmer voll auf AfD-BSW-Parolen gesetzt hat, vermochte er die Rechten nicht zu besiegen und landete nur knapp vor der AfD. Die Metgode, man kriegt die Extremisten klein, wenn man ihre Forderungen wiederkäut, funktioniert nicht mehr; dafür ist es zu spät. Viertens: Die Ampel spielt keine Rolle mehr in beiden Ländern außer vielleicht ihre letzten Abgeordneten noch bei einem Versuch der CDU, einen Ministerpräsidenten zu wählen. Ich erwarte, wenn auch nicht mit gleich oder ähnlich geringen Zahlen, bei der nächstjährigen Bundestagswahl ebenfalls den Absturz der Ampel. Und die CDU wird davon kaum stärker profitieren als jetzt in diesen beiden Ländern. Ich möchte mir den nächsten Bundestag lieber noch nicht konkret vorstellen. Siehe das vorangestellte Zitat. Das Schlimmste ist, dass AfD und BSW sich immer weiter radikalisieren und dann als tatsächlich faschistische Parteien zur Macht drängen werden, anders als sonst in Europa, wo in Skandinavien, Frankreich, Italien, den Niederlanden die Rechtsaußenparteien immer mehr zu Nur-noch-rechts-Parteien mutiert sind. Das war für die Erweiterung der Wählerbasis notwendig. In Deutschland braucht es die Öffnung zur rechten Mitte hin nicht. Hier finden die Braunen genug Wählerschaft, auch ohne den dunkelblauben Zeireiher überstreifen zu müssen.

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  6. Lieselotte

    Nach einem Rundblick in diesem Teil der Bloggosphäre, aus Interesse an anderen Menschen und ihrer Denke, habe ich habe da mal ein paar Fragen:
    Wieso sind alle ehemaligen DDR-Bürger demokratieunfähig, wenn „nur“30% davon die blaue Partei wählen?
    Betrifft das dann die, die in den Westen gezogen sind, auch?
    Wie kommt es, dass Statistiker festgestellt haben, dass unter ähnlichen Randbedingungen in westlichen Gemeinden auch ähnlich gewählt wurde /wird?
    War/ist der Westen tatsächlich frei von rückwärts gewandtem Gedankengut? Gibt es da keine AfD, Idenditären, Reichsbürger etc.
    Auf welche Art würdet Ihr denn erfolgreich Wähler überzeugen, mit Anschreien und Hinweis auf ihre Defizite? Das klappt nicht mal bei kleinen Kindern.
    Könnt Ihr verstehen, das es den „großen Rest „, derer hinter der Mauer maximal anko.t, mit gemeint zu sein, wenn Ihr die 30% Wähler brandmarkt? Wegen ihres Wohnortes sollen sie sich fremdschämen?
    Da hoffe ich mal, dass in Eurer Nähe kein Serienmörder wohnt. Ach, Ihr seid keine ? Na sowas.
    Ihr würdet am liebsten das Land verlassen? Ich denke, Ihr wollt die Demokratie retten. Gratismut ist immer gut…
    Wilhelm übrigens recht sachlicher Beitrag.
    Beste Grüße aus dem Osten

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    1. Trulla

      @Lieselotte
      Selbstverständlich haben Sie Recht mit der Forderung nach Differenzierung. Ich habe mich hier im Blog mit dem Gastgeber schon öfter darum gestritten.

      Den aktuellen Beitrag habe ich unter dem Aspekt der Ursachenforschung gelesen. Das Entsetzen über eine so hohe Zustimmungsrate bei Wahlen (die nun mal im Osten stattfanden) zu einer faschistischen Partei ist groß und die Suche nach Erklärungen wichtig. Dabei geht es nicht um Schuldzuweisungen. Aber wir müssen Mittel und Wege finden, dieser unheilvollen Entwicklung entgegenzutreten. Sonst Gnade uns Gott.

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      1. Lieselotte

        Danke schön, endlich mal was Vernünftiges.
        Das, was sich im Osten abspielt, passt gut ins Schema dessen, was in zahlreichen anderen europäischen Ländern bereits gang und gäbe ist. Da allerdings fragt keiner, ob die Wähler sozusagen den Schuss nicht gehört haben, sondern werden Ursachen und Fehlentwicklungen erörtert.
        Der Osten ist sozusagen der Vorreiter für eine Entwicklung, die ich für den Westen noch kommen sehe, wenn sich prekäre soziale Verhältnisse infolge wirtschaftlichen Abschwungs und jede Menge ungelöster Probleme weiter häufen.
        Angesichts der deutschen Geschichte ist das natürlich besonders tragisch.
        Es wird überall sehr viel geredet, hin und her gewendet, anschließend hektisch eine Pseudolösung präsentiert.
        Zum Thema „warum“ reden und forschen sich Wissenschaftler die Köpfe heiß, kann man jetzt in diversen Fernsehsendungen sehen. Die Sache ist wirklich komplex und tatsächlich nicht nur mit aktuellem politischen Handeln zu erklären.

        Es wird immer wieder postuliert, dass die Demokratie resp. Politik die eigene Mitwirkung erfordert. Das ist richtig, wird in der Kommunalpolitik vielfach vollzogen, in dem Parteilose und Angehörige nicht parteigebundener Gruppen in den Räten sitzen.
        Es ist auch nicht so, dass man in der Abgeordnetensprechstunde anstehende Probleme erst vortragen müsste, sie sind bekannt. Eine Lösung kann vielfach wegen entgegenstehender Lobbyinteressen, Parteiweisung von oben und wenig finanziellem Spielraum nicht gefunden werden. Man hat sich quasi selbst in Ketten gelegt. Der Spruch “ das habt ihr doch selbst gewählt“ greift viel zu kurz. Angefangen vom Einigungsvertrag, der den Beitritt des Ostens einem Anschluss gleichkommen ließ bis heute, hat eher die westdeutsche Gesellschaft sich nicht veränderungsbereit gezeigt. Da der Osten tatsächlich anders war und ist, muss sich das auch in einer anderen Entwicklung ausdrücken dürfen, die durch das Überstülpen vorhandener Strukturen gestört wird, was u.a. zu diversen Ressentiments führt.
        Ich muss jetzt erst mal aufhören. Wenn ich darf, werde ich ab und zu mal ein paar Dinge einstreuen, die vielleicht nicht so bekannt sind. Vielleicht trägt das zur Erhellung bei. Danke, das eine kritische Stimme nicht gleich gelöscht wurde.

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        1. Ralf

          Eine Anmerkung zu der vermeintlich nicht zu Veränderungen bereiten westdeutschen Gesellschaft möchte ich mir doch erlauben. Es war die erste und einzige frei gewählte Volkskammer, die entschied, dass die DDR sich nicht mit der Bundesrepublik vereinigen, sondern sich ihr anschließen sollte. Eine Vereinigung hätte -wie damals im Grundgesetz noch vorgesehen- die Ausarbeitung einer neuen, gemeinsamen Verfassung bedeutet, sozusagen die Gründung eines neuen Staates, in dem beide Partner aufgegangen wären. Der Anschluss bedeutete faktisch die Annexion der DDR auf deren eigenen Beschluss. Die Wähler im Osten wollten das mehrheitlich so haben, denn die hatten ja die annexionsbereiten Ostableger der annexionswilligen Westparteien gewählt. Die Menschen im Westen wurden gar nicht erst gefragt. Die Entscheidung traf im Westen anders als im Osten nicht das Volk, sondern Helmut Kohl, vermutlich nach dem Genuss eines allzu deftigen Saumagens. Schon immer hatten die Parteien im Westen panische Angst davor, das Volk könnte irgendetwas Wesentliches anders regeln als es den Parteien genehm ist. Das ist heute noch so. Die hohen Zustimmungswerte der Rechtsaußenparteien AfD und BSW offenbaren vornehmlich -neben einem Bodensatz faschistischer Gesinnung, den es auch im Westen schon immer gab- massive Unzufriedenheit mit den sogenannten Altparteien. Das ficht die nicht an. Bestenfalls schwafeln sie davon, dass sie ihre Politik besser erklären müssen. Das ist nicht so. Ihre Politik basiert einfach nicht auf einer breiten Mehrheit in der Bevölkerung, und das zeigt sich im Osten halt früher als im Westen, weil sich dort nie eine Stammanhängerschaft der Parteien gebildet hat, anders als im Westen, wo viele noch immer Wähler gegen ihre Überzeugung abstimmen, weil sie und ihre Eltern und Großeltern eben aus Tradition diese oder jene Partei gewählt haben. Das bröckelt aber langsam auch im Westen. Falsche Politik und endlos peinliches Affentheater sind ebenso wenig angetan, Wähler länger zu binden, als das ewige Narrativ, zu keiner von der Regierung und ihrer Parlamentsmehrheit getroffenen Entscheidung gebe es eine Alternative. Veränderungsbereitschaft ist im Westen schon da, sie braucht nur leider lange, um sich in Wahlentscheidungen umzusetzen, und sie wird von den Traditionsparteien ignoriert. Angeblich ging die Weimarer Republik unter, weil die letzte demokratische Koalition an einem halben Prozentpunkt höherem Versicherungsbeitrag zerbrach. So geht die Torheit der Regierenden. Sie verzanken sich in wenig wichtigen Details und versäumen es, die wirklich drängenden Probleme zu lösen. Sie glauben, sie können, die Zu- und Umstände in ihrem Sinne „einfrieren“ und jedweder Veränderung entziehen, während die Menschen „draußen im Lande“ Lösungen erwarten und nicht Phrasen wie „wir schaffen das“ oder „alternativlos“. Langer Rede kurzer Sinn: Die Menschen sind auch im Westen veränderungswillig, indes die Parteien sich an veralteten Strukturen und Ideen festklammern. Das kostet dann halt Wählerstimmen, und der Wahltag wird kommen, nach dem es für keine denkbare Koalition CDU/CSU-SPD-Grüne-FDP auf Bundesebene mehr reicht. Dann bricht der Laden zusammen, denn für eine permanente Staatskrise ist das Schönwetter-Grundgesetz nicht gemacht.

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