Sweeney Todd – ein Musical


Oder ein Grusical?

Gestern wurde das Geburtstagsgeschenk für meinen Mann eingelöst: Premierenkarten für das Musical Sweeney Todd im Theater Lübeck. Wir kannten bereits den Film mit Johnny Depp in der Hauptrolle und wussten deshalb um die rabenschwarze Geschichte, die in Teilen doch sehr makaber und blutrünstig ist, also nichs für zartbesaitete Personen.

Ein Theaterabend in Lübeck wird immer eingeleitet von einem Restaurantbesuch. Auch dieses Mal entschieden wir uns wieder für das Restaurant Shanghai, nur wenige Schritte vom Theater entfernt. Es ist das älteste Chinarestaurant in Lübeck. Es wurde 1966 an anderer Stelle eröffnet. Wer das „typische chinesische Ambiente“ erwartet, wird enttäuscht sein. Die Räume sind modern eingerichtet, es ist aber nicht ungemütlich. Auch das Geschirr entspricht nicht dem Klischee, welches man sonst erwartet. Dementsprechend sind die Speisen auch „anders“ als in einem üblichen Chinarestaurant.

Aber zurück zum Theater, das sich unter einem blauben Herbsthimmel, und angestrahlt von der bald untergehenden Sonne, dem Premierenpublikum präsentierte. Ein gutes Zeichen?

Als wir das Parkett betraten, stockte mir erstmal der Atem. Vom Proszenium, bis hinenein in den Zuschauerraum und entlang der Ränge, wallten Bahnen von dursichtiger Kunststofffolie, wie man sie zum Abdecken bei Renovierungsarbeiten kennt. Bernd sagte dann auch: Ah, hier wird renoviert. Als sich endlich der Vorhang öffnete, erkannten wir, dass auch an den Seiten und am Hintergrund der Bühne solch Folien hingen. Mir war schon klar, dass der Sinn daraus bestehen sollte, das Licht gut zu reflektieren, besonders das rote Licht bei den blutrünstigen Szenen. In Kenntnis der Handlung weiss man auch, dass sich mit so einer Folie Blutspuren verhindern lassen.

Natürlich wurde nicht auf einem blanken Bühnenboden gespielt und gesungen. Es gab ein paar wenige aber wirkungsvolle Ausstattungstücke, teilweise unterstüzt durch die Funktion der grossen Drehbühne.

Zur Handlung: Sweeney Todd kehrt nach Jahren der Verbannung durch den Richter Turpin nach London zurück. Von der Pastetenbäckerin Mrs. Nellie Lovett erfährt er, dass Sweeneys Frau tot ist und die gemeinsame Tochte vom besagten Richter adoptiert wurde. Sweeney schwört Rache am Richter und lässt sich als Barbier im ersten Stock der Pastetenbäckerin nieder. Die Zutaten der Pasteten sind nicht ganz einwandfreier Herkunft. Dem Zuschauer wird langsam bewusst, dass Menschenfleisch enthalten ist.

Der Barbiersalon von Sweeney Todd entwickelt sich zum Zulieferer für die Pastetenbäckerei. Statt die Kunden zu rasieren wird ihnen die Kehle durchgeschnitten. Ein speziell angefertigter Barbierstuhl befördert die toten Kunden per Hebeldruck in einen Schacht, durch den sie direkt in der Backstube im Keller landen. Hin und wieder steckt Mrs. Nellie Lovett Gliedmassen, die nicht für die Pasteten geeignet sind, in den Ofen.

Die Pasteten sind bei der Bevölkerung beliebt. Im kleinen Restaurant wird gegessen und getrunken. Für Nachschub sorgt Sweeney Todd. Eine Bettlerin taucht ständig auf und wird wieder verscheucht.

Es kommt wie es kommen muss: Die Nachbarn beschweren sich über den Gestank aus dem Ofen. Tobi, ein Kellner des kleinen Restaurants, findet im Keller verdächtige Hinweise, dass da was nicht mit rechten Dingen zugeht. Sweeney Todd bringt die Bettlerin um und erkennt, dass es seine totgeglaubte Frau ist. Er gerät mit der Pastetenbäckerin in Streit, die ihm nicht die Wahrheit gesagt hatte, in dessen Verlauf die Bäckerin im Ofen landet. Tobi hatte sich in Mrs. Nellie Lovett verliebt. Als er erfährt, dass Sweeney Todd sie umgebracht hat, wird dieser selbst von Tobi gemeuchelt. Vorhang! Ende! Aus!

Der Vorhang fiel und im gleichen Moment sprang das Publikum auf und spendete jubelnden Applaus, was besonders den letzten Szenen zuzuschreiben ist. Standing ovations im Theater Lübeck sind wohl eher die Ausnahme.

Die Dialoge zwischen Sweeney Todd und Mrs. Nellie Lovett reizen zum Teil zum Schmunzeln oder gar Lachen. Das Ende jedoch ist keines falls zum Lachen. Patrick Stanke spielt die Rolle des trauernden Ehemanns so überzeugend, dass man Mitleid mit ihm bekommt. Und wie er dann seine Wut an der Pastetenbäckerei auslässt, einfach genial. Dem Theater Lübeck ist ein Glücksgriff gelungen, den in der Musicalszene bekannten Patrick Stanke für diese Rolle zu gewinnen. Auch die Rolle der Mrs. Nellie Lovett ist als Gast toll besetzt. Carin Filipčić steht seit 25 Jahren in diversen Hauptrollen auf den Musicalbühnen. Alle anderen Rollen des Musicals wurden aus dem Ensemble des Theaters Lübeck besetzt und scheuen keinen Vergleich mit den beiden Stars.

Die Melodien kann man eigentlich vergessen. Sie sind nicht unschön, gehen aber zu einem Ohr rein und zum anderen wieder raus. Es bleibt davon nichts hängen.

Als ich vor der Vorstellung meinen Blick über das langsam das Parkett füllende Premierenpublikum gleiten liess, dachte ich: Das typische lübsche Publikum, jenseits der 70, fein herausgeputzt, „Wir haben ein Premieren-Abo“. Na, wenn es man nach der Pause nicht ein paar leere Plätze geben würde. Und so war es. In der Pause verliessen doch einige Gäste das Theater. Sie haben was versäumt. Denn ich habe schon öfter die Erfahrung gemacht, dass es nach der Pause erst so richtig toll wird. Gut, wer mit durchgeschnittenen Kehlen und makaberen Szenen nichts anfangen kann, wird die richtige Entscheidung getroffen haben. Aber wie ich schon sagte, die letzten Szenen gingen mir unter die Haut.

Nach dem Musical ist vor dem Musical: Im Dezember gehen wir ins Stage Operettenhaus in Hamburg und schauen uns zum wiederholten Mal Tanz der Vampire an. Das ist auch ein Geburtstagsgeschenk, nämlich meins.

Nachtrag: Soeben ist eine online eine erste Rezension erschienen

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