Übertrieben

Ein Mensch hat sich vor einen Zug geworfen und sich das Leben genommen. Das ist nicht ungewöhnlich. Das passiert in Deutschland mehrmals im Jahr. Normalerweise ist so ein Suizid nur ein paar Zeilen in der Tagespresse wert. Im Radiosender wird noch darauf hingewiesen, dass es zu Verspätungen bzw. Unterbrechungen auf der entsprechenden Bahnlinie kommt. Das war es dann auch. Niemand interessiert sich dafür, was für ein Mensch das gewesen ist und warum er seinem Leben ein Ende gesetzt hat.

Fussballer scheinen irgendwelche Halbgötter in Deutschland zu sein, ja, man kann sie schon fast als Götzen bezeichnen – jedenfalls wenn man danach geht, welcher Aufstand um den Freitod des Robert Enke gemacht wird. Ich wette, dass einem Sportler aus einer anderen Sparte so ein Brimborium nicht zuteil geworden wäre.

Angela Merkel „reagierte bestürzt“ und hat der Witwe einen persönlichen Brief geschrieben. Vermutlich tut sie das nie wenn ein unbekannter Mensch seinem Leben ein Ende gesetzt hat.

Zum Gedenken an Robert Enke wird heute eine überdimensionale Trauerfeier abgehalten. Sein Sarg wird währenddessen auf dem Rasen des Fussballstadions stehen. Ich kann mir nicht helfen, aber das ist alles mindestens eine Nummer zu gross. Und die Witwe, die allein zu entscheiden hätte, wie ihrem Mann die letzte Ehre erwiesen werden soll, hat all dem zugestimmt! Das klingt nach Sensationslust, danach, im Rampenlicht zu stehen. Ein würdiger Abschied ist das nicht. Das ist eine Massveranstaltung, das ist Zirkus und durch nichts gerechtfertigt.

Es gibt einen einzigen positiven Aspekt bei diesem Fall: Es wird endlich mal darüber gesprochen, dass Despression eine Krankheit ist, aufgrund der man sich nicht verstecken muss und schon gar nicht verstecken sollte. Vielleicht werden andere Erkrankte und deren Angehörigen mal wachgerüttelt. Aber eines derartigen Traueraktes bedarf es dazu nicht.

11 Gedanken zu „Übertrieben

  1. Volker

    Ähnliches habe ich auch gedacht, als ich diesen Beitrag in meinem Blog veröffentlichte. Es ist sicherlich für die Familie ein tragisches Schicksal und ich bewundere die Kraft der Wittwe, die einen Tag nach dem Selbsmord die Hintergründe offenlegte.
    Dies tat sie sicherlich nicht ohne Eigennutz: Sie wollte Spekulationen verhindern.
    Doch bei all der Diskusion in den letzten Tagen wurde vergessen, Enke war “nur” ein Fußballer”, mir persönlich war der Name bis Dienstag vollkommen unbekannt.
    Niemand hat auch nur ansatzweise in den letzten Tagen an die Folgen für den Zugführer gedacht, der nun mit den schrecklichen Bildern im Kopf weiter leben muss.

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  2. MisterMad

    Was ich nur gedacht habe: Komisch, er wurde und wird in den letzten Tagen ständig als bescheiden und zurückhaltend beschrieben. Und dann ausgerechnet für solch einen Mann so eine “bescheidene” Trauerfeier auf die Beine zu stellen ist irgendwie ein völliger Gegensatz, den ich nicht nachvollziehen kann.

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  3. Heidi

    Hans-Georg, da stimme ich Dir in jedem Punkt zu. In meinem Bekanntenkreis hat sich gerade ein 24 Jahre alter Bengel aufgehängt, Liebeskummer. Seine Angehörigen hatten Probleme, eine kirchliche Bestattung und einen guten Platz auf dem Friedhof zu bekommen. Es gibt ja vielerorts noch die sogenannte Selbstmörderecke auf den Friedhöfen.Durch diese Art, einen Selbstmörder zu würdigen, ihn hochzujubeln, tut man den Angehörigen keinen Gefallen. Auch wenn die Witwe eigentlich alles hätte tun müssen, um ihren Mann in Ruhe zu bestatten..sie wurde mit Sicherheit von allen Seiten bearbeitet.Sie tut mir einfach nur leid. In ein paar Tagen redet kein Mensch mehr von ihr. Dann wird sie anfangen nachzudenken.
    Der Lokführer, der wird vielleicht sein Leben lang diese Bilder im Kopf haben..wer kümmert sich um ihn? Ein Betriebspsychologe, für eine kurze Zeit, dann muß er entweder wieder “betriebstauglich” sein, oder in den Innendienst, oder in den vorzeitigen Ruhestand gehen.

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  4. Carlos

    Ich möchte deinem Beitrag voll und ganz zustimmen. Da werden Menschen, Fussballer, Showstars, Sänger die für viel Geld ihren Job machen, zu etwas erhoben, was meiner Meinung nach vollkommen übertrieben ist.

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  5. Hans-Georg

    Es wird sich auch nichts ändern – weil nämlich der Fussballfan an sich diese Dinge nicht versteht und als Schwäche auslegt:
    In Zusammenhang mit dem Fall Enke wird auch immer wieder Homosexualität bei Fussballspielern erwähnt. Da ist es doch genau so. Ein schwuler Fussballspieler würde von den Fans ausgepfiffen und bepöbelt werden, so wie ein depressiver Fussballspieler als verrückt bezeichnet werden würde.

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  6. Frau Momo

    Du hast es sehr treffend formuliert… mindestens eine Nummer zu groß.
    Und ich hab nicht wirklich die Hoffnung, das sich durch all das Theater etwas ändert an dem Bild, was viele von an Depressionen erkrankten haben… ich weiß ja nun leider gerade ziemlich gut, wovon ich rede.

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  7. Evita

    Eben genau das, Hans Georg. Im Fußball gibt es das Bild von “echten Kerlen”, die nicht weinen dürfen, von Depressionen und schwul sein ganz zu schweigen! Wenn dieses mediale Interesse jetzt den Sinn hat, dass diesen Fußballern/Sportlern ein bisschen mehr Verständnis und Unterstützung entgegen kommt und DFB-Präsident Theo Zwanziger, der sich für das Thema “Homosexualität im Fußball” schon sehr lange einsetzt, jetzt einen neuen Nährboden für seine Reden und Appelle hat, dann bin ich froh darum und werde darüber kein Wort verlieren. Du hast ja in meinen Augen prinzipiell Recht. Natürlich ist es nicht rational erklärbar, was in Hannover und Deutschland diesbezüglich geschieht, aber… Ist Trauer jemals rational? Als ich noch in der Schule war, ist der Vater eines Mädchens aus meiner Klasse gestorben. Keiner kannte ihn direkt von Klassenabenden und er hat sich wohl totgesoffen, so hieß es zumindest hinter vorgehaltener Hand. Und dann, ein halbes Jahr später, ist die Mutter einer Schülerin gestorben, nach langem Krebskampf. Eine Mutter, die jeder kannte, die jeder mochte, die freundlich und jung und schön war. Das blühende Leben, dem niemand etwas schlechtes gegönnt hätte. Da waren Trauer, Anteilnahme und Unterstütungsaktionen viel größer als bei dem Fall davor. Fair? Sicher nicht. Aber ich finde, es ist dennoch verständlich, oder zumindest menschlich… Sicher kann man sagen, dass Deutschland eben eine Fußballnation ist. Ganz klar, ein Handballspieler hätte diese Aufmerksamkeit nicht erhalten. Aber eben dadurch, dass er Fußballer war, kannten viele Robert Enke eben. Nationaltorwart. Und dann kam dazu die Sache mit seiner kleinen Tochter, die 2006 bereits durch die Presse ging. Schon WIEDER Robert Enke? Schon wieder diese arme Familie? Das zumindest habe ich gedacht. Und auch weil er so menschlich, ruhig und fürsorglich (die beide engagierten sich ja für viele Projekte) wirkte, ist es noch einmal so traurig und unverständlich, warum er es getan hat… Das zumindest sehe ich so. Und wer weiß… Wenn diese mediale Anteilnahme seiner Frau oder jemandem aus der Familie hilft, sich nicht mehr so allein zu fühlen… Kann man dann wirklich sagen, dass es falsch ist?!

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  8. Hans-Georg

    @Evita:
    Ich teile deine Meinung über den Zirkus Enke nicht. Es gibt viele viele Menschen mehr in Deutschland, die mindestens ebenso bekannt sind – wollte sagen waren. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals so ein Tamtam um den Tod eins Prominenten gemacht wurde.
    Hier hat sich die Fussballlobby ein Denkmal gesetzt. Meine Meinung ist, dass man die Witwe im Schockstadium “vergewaltigt” hat und ihr gar nichts anderes übrig blieb, als ihre Zustimmung zu dem Spektakel zu geben. Denn sehr schnell nach dem Tod Enkes wurde bekanntgegeben, dass es zu dieser sogenannten Trauerfeier kommen wird.

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  9. Hans-Georg

    Lieber Lucki!
    Das, was ich geschrieben habe, höre ich auch von Leuten, die Ahnung von Fussball haben und absolute Fussballfans sind. Man muss keine Ahnung von Fussball selbst haben wenn man über das Thema schreibt – denn das hat mit dem Fussballsport an sich rein gar nichts zu tun.
    Meine Meinungsäusserung als dummdösige Äusserungen zu diffamieren verbitte ich mir auf schärfste.
    Im übrigen habe ich in meinem ganzen Leben noch keine Bildzeitung gelesen.

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  10. Lucki

    Hola Georg,
    ich verzeih Dir , dass Du und auch teilweise Deine Fangemeinde wenig Ahnung vom Fußball haben, was auch eingestanden wird. Deinen letzten Abschnitt kann ich unterschreiben, das andere ist eine Ansammlung von dummdösigen Aüßerungen, (Fussballlobby,Tamtam, vergewaltigt) die vieleicht der BILD entliehen sind, aber selbst diese hat im Verlauf besser berichtet wie auch die TV-Sender.
    Schade um Deine Kommentierung wie auch die Deiner Mitstreiter!
    LG Lucki

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  11. Evita

    Gut, jedem seine Meinung… aber ich finde es schade [um nicht zu sagen traurig] dass viele Menschen plötzlich meinen, Teresa Enke, ihren jahrelangen Schmerz und ihre Taten zu kennen, bewerten und ggf. sogar beurteilen zu können… Wer weiß denn, wie sie sich fühlt/wieso sie diese Pressekonferenz abgehalten hat/ob sie schon öfter über diesen Fall nachgedacht hat/ob sie diese Gedenkfeier nicht sogar wollte/ob sie ihr geholfen hat/ob die Anteilnahme ihr Kraft gibt…? Ich finde es schade, weil doch eigentlich niemand die Fähigkeit hat, das zu beurteilen. Nicht einmal jemand, der in derselben Lage war, denn jede Situation ist immer ein Stück unterschiedlich und jeder Mensch reagiert und empfindet anders… das find ich schade. Das habe ich nun schon von so vielen Menschen gehört [selbst hier zuhause grrrr] und ich finde nicht, dass jemand das Recht hat, das ganze auf diese Weise zu beurteilen… 🙁 Nun ja, sei es wie es sei, ich hoffe zumindest, dass das ganze etwas bringt und all die vielen Reden nicht bald wieder umsonst waren… :/

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