Sängerfest

Für „Neuleser“ möchte ich kurz erklären, wie unsere Verbundenheit zu Schola Cantorosa entstanden ist:
Bernd war jahrelang aktiver Sänger und Mitglied der Kreativgruppe des Chores, die für die Programmgestaltung, Texte und Choreographien verantwortlich ist. Ich war einige Jahre verantwortlich für Beleuchtung und Toneinspielungen während der Aufführungen. Nach dem Austritt von Bernd aus dem Chor habe ich dieses Amt niedergelegt, bin aber immer noch Fördermitglied.

In diesem Jahr feiert der Schwule Männerchor Hamburg Schola Cantorosa sein 20-jähriges Bestehen. Aus diesem Anlass hat der Chor 4 schwule Chöre zu einem kleinen Chorfestival eingeladen:
Die Tollkirschen aus Leipzig
Homomannenkoor Zangzaad aus Groningen
Philhomoniker aus München
Zauberflöten aus Köln

Für uns begann das Wochenende am Mittwoch Abend. Bernd hatte unseren Übernachtungsgast Frank von Flughafen abgeholt. Er traf mit der letzten Maschine aus München ein. Als Frank um halb zwölf nachts bei uns in der Tür stand war es kein Gast. Frank ist Frank und gehört zur Familie und ist für uns nicht Besuch. Wer unsere kleine Wohnung kennt wird wissen, was das bedeutet.

Natürlich wurde in der Nacht noch lange geredet. Es war wohl erst 1 Uhr als wir schlafen gingen, Frank in „seinem“ Zimmer – unser Schlafzimmer, Bernd und ich auf dem Schlafsofa im Wohnzimmer.

Nach einem ausgedehnten Frühstück am Donnerstag Morgen machten wir uns auf den Weg nach Geesthacht um Frank den aktuellen Zustand des Elbe-Penthouse zu zeigen. Der Einladung zum Kaffee bei Familie G. schloss sich ein Spaziergang entlang der Elbe an. Dabei bekamen wir Appetit auf eine herzhafte Kleinigkeit. Wo anders als in der Alten Försterei bekommt man gutes und preiswerters Essen in Geesthacht? Zu einer Zeit, während der andere Leute bei Kaffee und Torte sitzen, verdrückten wir Försterinnenpfanne und Schnitzel, was viel zu viel und mindestens die dreifache Portion einer Kleinigkeit war. Trotzdem musste noch ein Nachtisch her. Danach waren wir pappsatt.

Wir machten uns auf den direkten Weg in den P.I.T.-Club in Hamburg, eine schwule Bar, in der die Akkreditierung für das Chorfestival stattfand. Frank als aktiver Sänger musste sowieso dort hin. Da Bernd und ich Festivalkarten bestellt hatten, mussten wir uns dort auch unser Ausweise abholen, die uns berechtigten, an allen Veranstaltungen inklusive der Proben teilzunehmen. Im P.I.T.-Club trafen wir alte Bekannte von frühreren Chorveranstaltungen und neue Gesichter. Auf neudeutsch nennt man so einen Abend wohl get-together. Ob es Chorschwestern gab, die dies allzuwörtlich genommen haben, entzieht sich unserer Kenntnis.

Für Freitag Mittag hatte Schola Cantorosa ein Fahrgastschiff für eine 2-stündige Hafenrundfahrt gechartert. Aufgrund des tollen Wetters drängten sich fast alle Teilnehmer auf den Freidecks. Von den Landungsbrücken ging es elbabwärts bis nach Blankenese. Auf der Rückfahrt wurden noch 2 Hafenbecken angesteuert, in denen grosse und kleine Containerschiffe lagen, sicher ein Erlebnis für die Landratten aus München und Leipzig. Und ich muss gestehen, dass auch ich ziemlich beeindruckt war.

Jedes vorrüberfahrende Schiff wurde mit einem vielstimmigen und hochtönigen „huhu“ begrüsst. Eine Ente, die sich während der Fahrt auf dem Dach der Barkasse niedergelassen hatte, wunderte sich sehr über den Unsinn und schaute erst mal über die Kante um zu begutachten, welche illustre Truppe an Bord rumkreischt.

Frank, Bernd und ich brauchten nach der Fahrt wieder mal eine Kleinigkeit, und diesmal war es auch eine. In einem Imbiss im Bahnhof bestellten wir uns Currywurst bzw. Baguette. Leider konnte ich mit der Currywurst nicht umgehen und kleckerte den Curryketchup auf mein weisses Poloshirt. Zum Glück konnte ich die Flecken mit meinem Festivalausweis gut verdecken. Trotzdem musste ein neues Hemd her. Frank fuhr zu uns nach Hause, er wollte ein Mittagschläfchen halten. Bernd und ich gingen shoppen: Ein neues Poloshirt und Zutaten für unser Currygericht, dass es später geben sollte.

Abends fand in der Markthalle das erste Jubiläumskonzert dieses Wochenende statt. Als erster Chor stand Schola Cantorosa auf der Bühne und präsentierte eine Kurzversion des neuen Programms „Die letzten Jahren – die erste Abschiedstournee“. Das Stück enthält 17 Lieder aus 8 Programmen der Jahre 1992 bis 2005, geschickt zusammengefügt in einer Geschichte, die im Seniorenwohnheim spielt. Die Jungs von Schola Cantorosa trugen auf der Bühne Sandalen, langweilige Pullunder, graue Perücken, Brille und stützen sich auf Krückstöcke – die Klischees schlechthin für ein Leben im Altersheim. Das Kurzprogramm war witzig inszeniert und machte Lust darauf, am nächsten Abend die ganze Version zu hören.

Als nächster Chor standen die Gäste aus Groningen auf der Bühne. Sie brachten deutsches Liedgut zu gehör, neu arrangiert und mit Witz inszeniert. Die Sänger hatten sich kostümiert, was keinen Bezug zum Gesang hatte. Jeder hatte ein orangefarbenes Asseccoir dabei, ein Tuch, eine Brille, einen Gürtel usw. Was wären Holländer ohne die Farbe orange.

Nach der Pause kam das absolute Highlight des Abends, und wie sich herausstellen sollte, DAS Highlight aller Aufführungen: Die Kölner Zauberflöten präsentierten ein perfektes Programm, das erst vor einer Woche in ihrer Heimatstadt Premiere hatte: „Starshine“. Vom Statisten zum Star – so lässt sich diese Geschichte kurz beschreiben. Tolle Choreographien, mit Witz und Esprit inszeniert, gesanglich voll auf der Höhe – ein Augen- und Ohrenschmaus. Standing ovations am Schluss waren der verdiente Lohn.

Ich kann nur jedem empfehlen, der in Köln oder Umgebung wohnt, sich auf der Hompage zu informieren, wann und wo das nächste Konzert stattfindet um sich rechtzeitig Karten zu sichern.

Der Samstag stand bei uns im Zeichen der Erholung: Auschlafen, frühstücken, reden. Bernd wollte noch mal in die City und sich neu mit Jeans und Hemden eindecken. Frank bereitete sich währenddessen auf den Auftritt mit seinem Chor am Abend vor.

Am späten Nachmittag fuhren wir gemeinsam zur Markthalle. Frank musste zu den Proben, Bernd und ich nahmen die Gelegenheit wahr, uns die Proben anzusehen bzw. anzuhören. Wir hatten bereits am Vortag gehört, dass dieser Abend ausverkauft ist. Da es keine nummerierte Plätze in der Markthalle gibt, bedeutet das frühes Erscheinen und Anstellen an der Einlasstür, wo wir bereits kurz vor 19.00 Uhr warteten – und das war auch gut so. Denn als um 19.30 Uhr die Türen geöffnet wurden, drängten sich Hunderte in den Saal. Nach wenigen Minuten waren tatsächlich alle Plätze besetzt.

Den Auftakt dieses Abends bildeteten die Philhomoniker aus München mit einem Aussschnitt aus ihrem Programm „Werbe-Wahn“. Leider waren die wackeren Sänger sehr schlecht zu verstehen, was einerseits an der schwierigen Akustik in der Markthalle liegt, anderseits wohl aber auch an mangelnder Artikulation. Denn selbst gesprochene Zwischensequenzen waren leider kaum zu verstehen.

Danach standen die Tollkirschen aus Leipzig mit ihrem Programm „(F)Lachbildschirm“ auf der Bühne. Evergreens, die Jeder kennt, der etwas Älter ist, wurden mit einem roten Faden rund um das Fernsehen verknüpft. U.a. Gerichtsshow, Sport und Sandmännchen waren Bestandteile dieses mit Spannung erwarteten Auftritts. Die angereisteten 9 Sänger des eh schon kleinen Chores und ihre musikalische Leiterin brauchten sich hinter den alteingessenen und wesentlich grösseren Chören ganz gewiss nicht zu verstecken.

Nach der Pause wurde die Aufführungsserie mit dem Auftritt von Schola Cantorosa beendet. Leider reichte die Performance nicht an die Hoffnungen vom Abend vorher heran. Auffallende Textschwächen, teilweise emotionslos gesungene Lieder aus den früheren Programmen, die seinerzeit immer das Gänsehautfeeling bei mir verusacht hatten, waren enttäuschend. Nun muss man dem Chor vielleicht zu Gute halten, dass von der Idee bis zur Aufführung nur 9 Monate vergangen sind. Man darf nicht vergessen, dass es sich bei allen Chören um Hobbysänger handelt, die sich ein Mal in der Woche zur Probe treffen. Zum Vergleich: Die Kölner Zauberflöten haben weit mehr als 2 Jahre an ihrem Programm gefeilt, bevor sie es auf die Bühne brachten.

Den Abschluss der Aufführungen bildete eine von allen Chören gemeinsam vorgetragene Hymne, die von Sebastian de Domenico, dem langjährigen Pianisten von Schola Cantorosa und jetzigem musikalischen Leiter am Operettenhaus Hamburg, komponiert und getextet und dem Chor zum Geburtstag geschenkt wurde.

Gegen Mitternacht war es endlich so weit, dass die Aftershowparty beginnen konnte. In bewährter Manier legte DJ Holger einen guten Mix aus alten und neuen Hits auf, die die Gäste in Scharen auf die Tanzfläche strömen liessen.

Die Parties von Schola Cantarosa sind legendär, es herrscht immer eine tolle Stimmung, die dieses Mal von dem diesjähigen Zweitplatzierten des Eurovision Songcontest bereichert wurde: Sieben, Sieben Ai lyu lyu riss die Tänzer und Tänzerinnen zwei Mal in dieser Nacht zu wahren Zappelorgien hin. Sowas hat bisher nicht mal Madonna geschafft, die ja als schwule Ikone schlechthin gilt – was ich ganz und gar nicht verstehen kann.

Die Nacht endete für uns als wir um halb fünf Uhr morgens in den Schlaf fielen.

Am Sonntagmorgen brauchten wir für uns und unseren Gast nicht für Frühstück sorgen. Als Abschluss dieses Wochenendes hatte Schola Cantorosa für alle Teilnehmer ein Brunch arrangiert. „Halle 13“ – ein ehemaliges Bus- oder Bahndepot des Hamburger Nahverkehrrs, liegt in der Nähe des Stadtparks idyllisch an einem Alsterkanal. Hier gab es ein sehr gutes kaltes/warmes Buffet – und zwar reichlich. Ständig wurden neue Platten bereitgestellt.

Nachdem jeder Chor sein obligatorisches Abschiedständchen zum Besten gegeben hatte und die Dankesworte gesagt waren, war das Festival offiziell beendet. Der Bus der Kölner stand bereit, und brachte diese wieder in ihre Heimatstadt. Ein paar Grüppchen hatten sich noch zusammengefunden und tauschten ihre Eindrücke der vergangenen Tage aus.

Frank kam mit uns wieder nach Hause. Sein Flieger nach München ging erst abends um neun. Auch wir 3 liessen die vergangenen Tage noch mal Revue passieren bevor Bernd unser Familienmitglied aus München wieder zum Flughafen brachte.

Tage wie diese sind schön und auch schön anstrengend. Jeden Abend spät schlafen gehen und Tage angefüllt mit Aktivitäten fordern ihren Tribut. Wir hatten nur einen Gast, dem wir ein Bett zur Verfügung gestellt haben. Die Mitglieder von Schola Cantorosa hatten die Planung und Vorbereitung für diese Veranstaltung UND auch 1 – 2 Übernachtungsgäste von den Gastchören. Ich glaube, die sind alle ziemlich fertig. Und sie gönnen sich keine Pause: Heute Abend ist für Schola Cantoroas Probe angesetzt, d.h. Nachbereitung der vergangen Tage und ihres Auftritts.

Danke Schola Cantorosa für eure Mühe!

14 Gedanken zu „Sängerfest

  1. barbara

    nach den Fotos zu urteilen, muss die Stimmung toll gewesen sein. Ihr werdet sicherlich noch lange von diesen schönen Tagen zehren.
    Ich freue mich auch schon auf dein ‘anderes’ Geschreibsel 😉

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  2. Patrick

    abend zusammen. gibt es davon einen musikmitschnitt? ich wäre gerne dabeigewesen. liebe grüße aus ostfriesland!

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  3. Hans-Georg

    @barbara:
    Die Luft ist nun erst mal raus. Wenn, dann wird es erst am Wochenende was – falls mir überhaupt was dazu einfällt.
    @Patrick:
    Es wurde eine 20-Spur Tonaufnahme gemacht. Allerdings für den internen Gebrauch. Wenn sie auf dem internen Markt ist, werde ich versuchen, an dich zu denken und zu fragen, ob die Aufnahme auch fremdzuvergen ist.

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  4. Birgit

    Ich finde, daß Ihr 2 ein super-sympathisches Paar seid.

    …damit ich das auch mal gesagt habe 🙂

    Lg
    Birgit

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  5. Christian

    Wenn ich das hier so lese kann ich nur sagen: Herzlichen Glückwunsch zum ersten Roman 🙂

    Ich kann mir lebhaft vorstellen was die Leute auf den anderen Schiffen wohl so gedacht haben als sie euer seemänisches “Huhu” vernommen hatten – ich finde das richtig lustig!!

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  6. Hans-Georg

    @Birgit:
    Bist du ganz sicher, dass du anhand der Fotos feststellen kannst, wer zu wem gehört?
    @Karin:
    Danke für das Kompliment
    @Christian:
    Lange Blogeinträge verleiten ja meist dazu, gar nicht erst zu lesen. Aber in diesem Fall liess sich das nicht vermeiden – gaynausowenig wie beim Silvesterbericht.

    Antworten
  7. Christian

    @Hans-Georg

    Stimmt, das Lesen langer Einträge ist schon so eine Sache. Aber manchmal gehts halt nicht kürzer…

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  8. Hans-Georg

    @Birgit:
    Dann kann ich mich jetzt ja für das nette Kompliment bedanken.
    @Christian:
    Wer Interesse daran hat wird es trotzdem lesen, die Anderen lassen es eben bleiben.

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  9. Lutz und Tommy

    Wir waren schon neugierig auf Deinen Bericht und nach dem Lesen, wünscht man sich, dabei gewesen zu sein. Besonders die Hafenrundfahrt mit einem Schiff voll mit trällernden Sangesschwestern stellen wir uns recht amüsant vor.

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  10. Reinhard Marx

    Mit viel Interesse und auch Freude habe ich als alteingesessene Zauberflöte deinen Bericht gelesen. Sehr umfassend, und auch vollständig, erzählt er die Tage die ich/wir in vollen Zügen genossen haben. Es ist immer wieder schön, in Hamburg zu sein, dort zu singen und euch als Publikum zu erleben.
    Liebe Grüße

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  11. Hans-Georg

    @Reinhard:
    Ich kann mich gar nicht daran erinnern, dass wir auch mit der Bahn gefahren sind (in vollen Zügen etc).
    Egal, jedenfalls vielen Dank für deinen positiven Kommentar.
    Und ich betone es hier nochmals: Die Zauberflöten waren klasse – auch wenn ich jetzt möglicherweise als Nestbeschmutzer dastehe.

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  12. Kalle

    Hi Hans-Georg,

    danke für den schönen Beitrag. Aloha hätte ich zurückgerufen vom anderen Schiff *gg.

    Man merkt, dass es euch Spass gemacht hat 🙂

    Lg kalle

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